Chronik/Wien

Wiener Rugby-Verein: Unter Kämpfern

Das blaue Auge trägt Mustafa mit Stolz. Und auch die Schramme auf Aghids Stirn ist mehr Adelsprädikat denn Makel.

Rugby ist nun mal nichts für Zartbesaitete. Und die fünf jugendlichen Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien sind Härte gewohnt. Jeder der 15- bis 19-Jährigen hat seine eigene, traumatische Geschichte hinter sich. Eltern vermisst oder tot. Alleine losgeschickt nach Europa, der Willkür der Schlepper ausgesetzt. Keiner der fünf will daran erinnert werden. Und keiner der anderen fragt nach. "Das ist ein heikles Thema", sagt einer, "sie haben alle sehr schwierige Zeiten hinter sich."

Freiheit

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Jetzt leben sie in Wien, warten auf die Erledigung ihrer Asylanträge und auf eine bessere Zukunft. Einen Vorgeschmack, wie Freiheit und Sinnstiftung in Europa schmecken, bekommen sie bei den Vienna Celtics, einem der ältesten Rugby-Clubs Österreich. "Wir waren immer ein internationaler Verein", erzählt Vereinsobmann Antonio de Vall, "2011 hatten wir 22 Nationen im Club. Wir sind einfach eine große Familie."

Eine, die mit offenen Armen die fünf "Jungs", wie sie hier von allen genannt werden, aufgenommen hat. An der Volkshochschule in Ottakring lernen sie Deutsch, hier in Hietzing lernen sie, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. "Als sie gekommen sind, haben sie kein Wort herausgebracht – und nie gelacht," erzählt de Vall, "jetzt sind sie mit Stolz und Freude dabei. Und das mit dem Deutschlernen geht praktisch von alleine."

Fast-Namensvetter Daan de Val trainiert die Burschen, ist ihnen Coach und Freund in einem. Der 25-jährige Psychologiestudent aus Holland untersucht die therapeutische Wirkung des Sports auf die traumatisierten Jugendlichen: "Die Frage ist, ob wir das Leben der Jungs mit dem Sport positiv verändern können."

Der wissenschaftliche Beleg steht noch aus, doch die Praxis zeigt eindringlich, wie sehr Rugby Lebensinhalt der fünf geworden ist (arbeiten ist ihnen nicht erlaubt, so lange das Asylverfahren offen ist) – und wie wichtig der soziale Verband im Club ist: "Ich habe hier meine neue Familie gefunden", sagt Aghid, 18, aus Syrien, "Rugby und die Schule, das ist alles, was ich habe."

Leider ist das Prekariat Teil des integrativen Sportprogramms: Dürfen sie in Österreich bleiben? Wo kommen das nächste Paar Sportschuhe oder ein festes Baumwollleiberl her (Sponsoren sind immer willkommen)? Und wo werden sie ab Herbst trainieren? Das Sportgelände nahe Schönbrunn, wo die Celtics jetzt noch Untermieter sind, wird abgesiedelt.

Die Zukunft des Vereins ist zurzeit genau so ungewiss wie jene der fünf "Jungs".

www.viennacelticrugby.at

Junge Flüchtlinge: Auf sich allein gestellt

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Zahlen Jahr für Jahr flüchten Hunderte Kinder und Jugendliche alleine, ohne ihre Eltern, aus den Krisenregionen in Asien, Afrika und Osteuropa. Im Jahr 2011 erreichten 1342 dieser sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge Österreich.

Herkunft In den vergangenen Jahren ist der Anteil afghanischer Kinder und Jugendlicher, die nach Österreich flüchten, massiv angestiegen (71 Prozent aller Asylanträge), gefolgt von jungen Flüchtlingen aus Pakistan, Somalia, Nigeria und Russland (Tschetschenien).