Chronik/Wien

Wenn Protest Geschichte wird

„Oma, was ist ein Schneemann?“ schrieb eine Schülerin auf einen Pappkarton. Diesen hielt sie am Freitag in Wien bei den „Fridays for Future“-Protesten gegen den Klimawandel zwischen vielen anderen Plakaten empor.

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Schon in wenigen Tagen könnten Schilder wie dieses im Haus der Geschichte Österreich ausgestellt sein. Als das Ibiza-Video etwa Tausende auf den Ballhausplatz trieb, hing das Schild „European Republic, 100 % Ibiza free“ bereits drei Tage später im Museum.

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Die Forscher des Hauses wenden eine noch junge Sammlungsmethode an, die „Rapid Response Collecting“ heißt. „Wir versuchen damit, Ereignisse, die das Potenzial haben, dass sie von größerer historischer Bedeutung sind, sofort in der Gegenwart zu dokumentieren“, erklärt die Direktorin Monika Sommer.

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Zuerst gehe es darum, eine größere Menge an Objekten zu sammeln. In einem zweiten Reflexionsprozess werde dann beschlossen, was wirklich in die Sammlung eingeht. „Alles, was wir übernehmen, steht unter Denkmalschutz. Wir verpflichten uns damit, es langfristig zu erhalten“, sagt Kurator Stefan Benedik. Sobald ein Objekt in die Sammlung übergeht, darf es so nur noch mit weißen Handschuhen angefasst werden – auch die Demo-Plakate. Außerdem werden die Objekte abfotografiert und inventarisiert.

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Die Demo-Plakate werden nach verschiedenen Kriterien ausgewählt. So muss etwa der inhaltliche Charakter der Demonstration auf den Punkt gebracht werden, das Plakat muss einen historischen Wert haben. Es muss aber auch repräsentativ für die Menschen sein, die demonstrieren. Bei den Klimaprotesten sei es daher wichtig, dass auch in der Ästhetik der Plakate zum Ausdruck kommt, dass die Proteste von jungen Menschen getragen werden.

Eine Stimme geben

Auch andere Museen sammeln in der Gegenwart, erläutert Benedik: „Aber immer erst, wenn klar ist, dass es ein historischer Moment war – Plakate sind dann aber schon weg. Das birgt zwei Probleme: Ein gewichtiger Teil der historischen Bilder geht verloren und jene Menschen, die den Umbruch erwirkt haben, bekommen keine Stimme.“

Auch hier seien die aktuellen Klimaproteste ein gutes Beispiel. Es reiche nicht, mit Arnold Schwarzenegger und Greta Thunberg zu sprechen. „Es geht darum: Wie hat es angefangen? Welche Schüler sind auf die Straße gegangen? Die sind es, die eigentlich Geschichte geschrieben haben“, fährt er fort.

Spontan reagieren

Sommer hakt ein: „Die Methode ist wichtig für zeitgenössische Museen, die sich als Diskussionsort verstehen und nicht nur die Leistungen von alten, weißen Männern ausstellen.“ So wird in der momentanen Ausstellung „Aufbruch ins Ungewisse“ die Geschichte Österreichs bewusst bis zur Gegenwart abgebildet – und da tut sich momentan einiges Geschichtsträchtiges. Bei den Ibiza-Protesten am Ballhausplatz war das Kuratoren-Team gefordert, spontan zu reagieren. „Es war sofort klar, dass die Demo historische Bedeutung haben wird, aber zu dem Zeitpunkt noch nicht, wie groß sie sein wird“, sagt Sommer.

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Der Standort des Museums am Heldenplatz sei ein Vorteil, „am inoffiziellen Hauptplatz der Republik“ bekomme man viel mit. „Man sieht häufig, dass sich Erinnerungspolitik in Demonstrationen wiederfindet“, sagt Benedik in Anspielung auf die Zerstörung der aktuellen Toscano-Ausstelung von Holocaust-Überlebenden am Wiener Ring und der Protest-Gruppe, die sich daraufhin geformt hat. So hat sich das Museum aufgrund der historischen Dimension der Ereignisse entschlossen, beschädigte Ausstellungs-Bilder in die Sammlung aufzunehmen und unter Denkmalschutz zu stellen.

Ein Objekt ist aber immer nur so viel Wert, wie die Information, die es dazu gibt. Benedik erläutert anhand eines Plakats, auf dem eine Welt zu sehen ist, die in Flammen steht: „In 100 Jahren ist nicht klar, dass es um den Klimawandel geht, es könnte auch Krieg thematisieren.“ Daher werden immer Interviews mit den Protestierenden geführt. So können auch Kuratoren in der Zukunft auf das Material zurückgreifen.

Die meisten Schenker seien sehr stolz, dass sie im Museum ausgestellt werden. Eine Klimaprotestierende ist etwa mit ihrer Familie ins Museum gekommen. „Viele wollen ihre Plakate aber auch nicht hergeben, weil es nicht einmalige Demonstrationen, sondern wiederkehrende sind und die Plakate wieder gebraucht werden“, sagt Benedik.  

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Das Haus der Geschichte

Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik. Ausgehend von der Gründung der demokratischen Republik 1918 werden gesellschaftliche Veränderungen und politische Bruchlinien thematisiert, sowie Fragen gestellt, die damals wie heute Österreich und Europa bewegen. Die Eröffnungsausstellung „Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918“ widmet sich dem jüngsten österreichischen Jahrhundert. Ausgangspunkt sind die Erfahrungen der Menschen mit der Republiksgründung. Der letzte Teil wird stets den neuesten Entwicklungen gemäß angepasst.

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