Chronik/Wien

Wiener Grüne wollen Partei völlig umkrempeln

Nach dem Desaster bei der Nationalratswahl und internen Querelen wollen die Wiener Grünen den Neustart ausrufen und die Partei völlig umkrempeln. Dabei geht es nicht nur um inhaltliche Positionen, sondern etwa auch um das Hinterfragen der basisdemokratischen Listenerstellung und die Spitzenkandidaten-Suche für die Wien-Wahl 2020. Der Startschuss für den Reformprozess fällt am 25. November.

An diesem Tag tagt das größte Gremium der Wiener Partei, die Landesversammlung. Dort soll ein Leitantrag mit dem Titel „Für einen Neubeginn der Wiener Grünen“ mit möglichst breiter Mehrheit beschlossen werden und somit der Startschuss für die Neuaufstellung der Ökos fallen. In dem Papier, wird freilich auf das katastrophale Wahlergebnis samt Rausflug aus dem Parlament Bezug genommen. Dieses beruhe „auf Fehlern und Problemen, die wir zum Teil seit Jahren kennen und ignoriert haben“. Im Hinblick auf 2020 müsse es jetzt zu einer „Neugestaltung“ kommen, die „alle Ebenen unserer Partei“ betreffen.

Der Antrag macht deutlich, dass die Grünen offenbar auch heikle Strukturangelegenheiten angreifen oder zumindest hinterfragen wollen, ob diese noch zeitgemäß sind - etwa die bisherigen basisdemokratischen Listenerstellungen. „Es gibt schon länger Stimmen dafür, dass wir unsere internen Wahlvorgänge überdenken sollen“, heißt es dazu. Gesucht wird ein Wahlmodus, der transparent ist, aber auch eine thematische Ausgewogenheit im Klub garantieren soll. Diskutiert werden soll zudem, ob der Spitzenkandidat oder die Spitzenkandidatin anders als derzeit auch im Vorstand vertreten und somit eine Art formeller Parteichef sein soll und künftig auch personelle Vorschläge in Sachen Listenerstellung machen darf - also ein Schritt in Richtung Zentralisierung.

Vassilakou nicht fix

Apropos Spitzenkandidat: Diesem Aspekt ist im Leitantrag ebenfalls ein Absatz gewidmet. Wobei ein nochmaliges Antreten von Maria Vassilakou durchaus nicht als fix vorausgesetzt wird. „Ein Neubeginn gelingt nur mit konkreten Veränderungen und einer geeigneten Person als SpitzenkandidatIn. Für deren Findung wird bei der Landesversammlung im Juni 2018 ein Fahrplan vorgelegt“, wird in dem Papier formuliert.

Man wolle alles „ohne Scheuklappen und ohne Tabus“ in einem „offenen Prozess“ zur Debatte stellen, sagt die grüne Sozialsprecherin Birgit Hebein, die den Antrag mitformuliert hat. Denn es gebe „dringenden Handlungsbedarf“: „Wir sind in der ärgsten Krise unserer Geschichte.“

Kein Gegenantrag

Eine Art Gegenantrag zum vor einer Woche bekannt gewordenen Vorstoß des Vassilakou-Kritikers Alexander Hirschenhauser, Klubobmann im 1. Bezirk, sei das aber nicht. Hirschenhauser will bei der Landesversammlung ja über einen Antrag abstimmen lassen, der die grüne Frontfrau zur Niederlegung ihrer politischen Funktionen bis zum Frühjahr 2018 auffordert. „Wir machen mit unserem Antrag klar, dass die Frage der Führungsspitze erst am Ende der Erneuerung steht“, meint Hebein. Zu Hirschenhausers Antrag wollte sie sich auf Nachfrage nicht äußern.

Das Papier behandle, wie ein guter Prozess der Veränderungen eingeleitet werden kann und was das in letzter Konsequenz personell bedeute, sagt Silvia Nossek, Bezirksvorsteherin in Währing und eine der Autorinnen des Antrags. Diese Auseinandersetzung hätte auch ohne Hirschenhausers Antrag stattgefunden, ist sie überzeugt. Nossek: „Da nun jemand glaubt, er muss sich wichtig machen, schreiben wir fest, was wir ohnehin tun wollten.“

Hirschenhauser für „gescheite Beiträge offen“

Hirschenhauser zeigte sich am Dienstag am Rande einer Podiumsdiskussion, als die Pläne über einen Leitantrag in grünen Kreisen bereits durchgesickert waren, gegenüber diesem offen. „Ich bin der letzte, der einen gescheiten Beitrag nicht aufnehmen würde“, sagt er. "Egal wie die Abstimmung ausgeht, eines haben wir auf jeden Fall erreicht: Eine Diskussion.“

Stärke Abgrenzung von der SPÖ

Schaffen will man den Spagat auch zwischen dem Selbstverständnis einer systemkritischen Bewegung und der Notwendigkeit zu Kompromissen in Regierungsverantwortung. Außerdem soll eine Strategie gefunden werden, wie man sich stärker vom Koalitionspartner SPÖ abgrenzen kann, damit 2020 nicht wieder das Schicksal droht, dass Grün-Wähler in letzter Minute zu den Roten umschwenken. Durch eine Parteiöffnung hin zur Zivilgesellschaft erhoffen sich die Grünen außerdem mehr Mitglieder. Denn derzeit zähle man nur 1.500 - bei knapp 100.000 Wählerstimmen bei der Gemeinderatswahl 2015.

Neben Gemeinderätin Jennifer Kickert ist auch Christian Tesar, Klubobmann der Grünen in Rudolfsheim-Fünfhaus, im achtköpfigen Autorenteam des Antrags vertreten. „Wir wissen nicht erst seit dem 15. Oktober, dass wir tiefgehende Probleme haben. Wir werden nicht mehr als konstruktive Kraft wahrgenommen, obwohl uns eigentlich mit dem Ressort von Maria Vassilakou (Verkehr/Planung/Energie, Anm.) sehr viel gelingt in der Stadt. Das ist ja absurd“, fasste Tesar das Dilemma zusammen. Der Antrag sei der „Versuch, möglichst viele Menschen an Bord zu holen, um Lösungen umzusetzen“.

Bezirke am Mittwoch informiert

Der Leitantrag wurde noch am Mittwochnachmittag an die einzelnen Bezirke verschickt, wo er diskutiert werden und bei Bedarf ergänzt werden soll. Ziel ist, viele Mitstreiter zu finden, damit das Papier bei der Landesversammlung eine möglichst breite Zustimmung findet. Erste Reformergebnisse sollen bei der Landesversammlung im Juni 2018 präsentiert werden, der gesamte Neuerungsprozess bis Herbst 2018 abgeschlossen sein.