Chronik/Wien

Üben für den Ernstfall in der U-Bahn

Sie tragen bei ihrer Arbeit täglich die Verantwortung für das Leben von hunderten Menschen: Wiener U-Bahn-Fahrer. Dabei ist der Job bei den Wiener Linien bei Fahrgästen oft unbeliebt. Der Fahrer ist schuld, wenn die U-Bahn Verspätung hat, der Fahrer ist schuld, wenn zu viele Menschen im Waggon sind oder der Zug auf der Strecke kurz anhalten muss. Gleichzeitig vertrauen die Fahrgäste aber auf die Zuverlässigkeit und das Können der Fahrer. Um das zu garantieren haben die Wiener Linien Millionen in Geräte für die Ausbildung investiert.

Die Fahrer werden seit 2016 nämlich in zwei extra angefertigten Simulatoren geschult. "Dadurch können wir auch Extremsituationen schulen, die wir im Regelverkehr zum Glück nicht oft erleben", erklärt Rainer Bartos, Ausbildner bei den Wiener Linien.

Personen auf den Gleisen, Rauch im Waggon oder andere Szenarien bildet der U-Bahn-Simulator zum Üben nach. Von der Seestadt Aspern pendeln täglich Hunderte ins Stadtzentrum in die Arbeit. Die Strecke zwischen Aspern und dem Karlsplatz ist auch die erste, die von den Entwicklern aus Frankreich detailgetreu programmiert wurde. "Wir haben sogar das Stadion als markten Punkt in der Simulation", sagt Bartos.

Gegenseitige Kontrolle

Jeder, der in Wien einmal eine U-Bahn steuern möchte, muss zunächst in den Simulator. Anders als im wahren Leben sitzen draußen die Kollegen und verfolgen jeden einzelnen Schritt des Anfängers mit. "Das hilft uns bei der Analyse der Fahrten. Jeder wird durch die Kollegen kontrolliert", sagt Bartos. Und die Trainings verlangen alles von den Auszubildenden ab.

Johannes Agreiter absolviert gerade die 49 Tage dauernde Ausbildung zum Zugführer: "Uns Neuen hilft es am Anfang sehr, im Simulator zu üben. Die drei Millionen Euro, die die Wiener Linien investiert haben, lohnen sich, weil wir einfach in einem sicheren Umfeld trainieren können." Auch der KURIER absolvierte eine Einheit in dem hochmodernen Gerät. Beim Lokalaugenschein wünschen wir uns eine Schneefahrbahn und obendrauf noch ein "Horrorszenario", das man im täglichen Verkehr hoffentlich nicht erleben muss. "Sehr gerne", erwidert Michael Bartos.

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Dichter Schneefall, Hauptverkehrszeit, eine Fahrt zwischen der Seestadt und Stadlau. Setzt man sich in den Simulator, blickt man nach vorne, links und rechts in real wirkende Szenen – sogar der Sessel des Fahrers bewegt sich situationsangepasst mit. Die Fahrt beginnt. Anfangs läuft alles normal, die Bahn fährt mit 80 km/h, bis plötzlich vor einer Station der Alarm aufheult. Aus der Notsignal-Anlage ertönen Hilfeschreie "Es brennt, bitte Hilfe! Schnell!"

Ausnahmesituation

Was nun zu tun ist, weiß man in diesem Moment nicht instinktiv. Hunderte Knöpfe blinken auf, im "Rückspiegel" erkennt man Rauchschwaden, die aus einem der Waggons steigen. Der Ausbilder erklärt man solle die Zentrale informieren, die schließlich weitere Instruktionen erteilt. Für einen Laien eine Situation, die absolut überfordert. "Solche Szenarien müssen wir immer wieder trainieren, um für die Fahrer eine Situation zu schaffen, in der sie im Ernstfall automatisch funktionieren", sagt Bartos. Daher müssen nicht nur die Fahranfänger in die virtuelle Realität des Simulators üben. Auch langjährige Mitarbeiter absolvieren einmal im Jahr das Training.

Bald gibt es auch eine Strecke im Repertoire, die in der Realität noch gar nicht existiert. "Die Programmierer in Frankreich arbeiten gerade an der U1-Verlängerung. So können wir die Strecke schon vor der Eröffnung durchgehen und die Eigenheiten erkennen", erklärt Rainer Bartos. Bei der Jungfernfahrt auf den 4,6 Kilometern zwischen Leopoldau und Oberlaa, können sich die Fahrgäste also auf die die Fahrer verlassen – ganz so wie jeden Tag.