Kriminalsoziologen nehmen die Psychiatrie unter die Lupe
Nahezu eineinhalb Jahre sind vergangen, seit eine Krankenschwester ihr Schweigen gebrochen hat. Elisabeth Pohl sprach im Juni 2013 über furchtbare Zustände, die noch Anfang der 1980er-Jahre im Pavillon 15 des Otto-Wagner-Spitals am Steinhof in Wien geherrscht haben sollen. Behinderte Kinder, die dort zur Pflege untergebracht waren, sollen geprügelt, weggesperrt oder "in der kalten Badewanne untergetaucht" worden sein.
Jetzt werden die Vorkommnisse vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) akribisch durchleuchtet. Gestern, Donnerstag, präsentierte Hemma Mayrhofer das Forschungsprojekt, das von ihr geleitet und von der Stadt Wien mit 210.000 Euro finanziert wird.
"Im Mittelpunkt stehen zwei stationäre Einrichtungen der Wiener Psychiatrie – der Pavillon 15 im Otto-Wagner-Spital und die Abteilung für entwicklungsgestörte Kinder am Rosenhügel", sagt Mayrhofer. Ein wichtiger Aspekt seien Gespräche mit Zeitzeugen – etwa Mitarbeitern der Institutionen, ehemaligen Patienten und deren Angehörigen. Die Gespräche mit Betroffenen, meist Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen, bezeichnet die Projekt-Leiterin als "große Herausforderung". "Es wird zum Teil eine detektivische Arbeit." Vor allem, wenn in diversen Archiven in Kellerräumen "herumgewühlt" wird, um an Patienten-, Personal- und Beschwerdeakten heranzukommen.
Strafrecht
Der Forschungszeitraum wird die Jahre 1960 bis 1980 umfassen, kann aber je nach Datenlage in beide Richtungen ausgeweitet werden. Im Fokus steht neben den beiden genannten Institutionen die gesamte Wiener Psychiatrie. Wichtig sei auch, "die schweren Vorwürfe, Missstände und unmenschliche Behandlungsweise zu klären. In Österreich hat die Menschenrechtskonvention seit 1964 Verfassungsrang", sagt Mayrhofer. Hier gelte es, auch strafrechtliche Aspekte im Zusammenhang mit dem Pflege- und Psychiatrie-Skandal zu klären.
Neben Mayrhofer besteht das Wissenschaftsteam aus fünf weiteren renommierten Forscherinnen und Forschern. Zudem gibt es einen wissenschaftlichen Beirat. Der Endbericht wird im Juni 2016 vorliegen.
"Das IRKS hat bei seiner Arbeit völlig freie Hand", heißt es aus dem Büro der zuständigen Stadträtin Sonja Wehsely. Neben dem IRKS sei man mit zwei weiteren Forscherteams in Verhandlungen gestanden.
Ein Zwischenbericht und der Endbericht werden in vollem Umfang veröffentlicht. "Das war eine unserer Grundbedingungen, dass alles ungekürzt, voll und ganz der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden muss", sagt Mayrhofer.