Skandalheim: Jetzt reden die Erzieherinnen
Zwei ehemalige Zöglinge des 1977 geschlossenen Kinderheims am
Wilhelminenberg hatten wie berichtet schwere Vorwürfe gegen Erzieherinnen ("Schwestern") der Anstalt erhoben. Sie berichteten von sadistischen Erziehungsmethoden und Serienvergewaltigungen, bei denen sogar Geld geflossen sein könnte. An den Übergriffen sollen sich auch mehrfach die Erzieher beteiligt haben. Die inkriminierten Vorgänge spielten sich Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre ab. Sie sind bereits verjährt. Schwester Linda ist eine der Erzieherinnen.
KURIER: Es gibt schwerwiegende Vorwürfe gegen das Heim Schloss Wilhelminenberg aus den 1970er-Jahren. Wir wissen, dass Sie dort als Betreuerin gearbeitet haben. Es sind von damaligen Kindern unglaubliche Vorwürfe, vor allem Ihre Person betreffend, gemacht worden.
Schwester Linda nimmt einen großen Schluck vom weißen Spritzer. Sie drückt und zerrt an ihrem Oberarm.
Schwester Linda: Na, also ...
Wir müssen Sie bitten, dazu Stellung zu nehmen.
Wir kennen Mädchen, die genau wissen, wo man sich Geld holen kann. Also die waren nur in der Sonderschule. Waren also nicht besonders vif. Aber wie sie dann rausgekommen sind und auf Besuch gekommen sind, haben sie dann geschildert, wo man sich überall von der Gemeinde Wien eine finanzielle Unterstützung holen kann. Wie die das jetzt mitgekriegt haben, dass man für alle möglichen Geschichten einen finanziellen Ersatz kriegt, werden sich da welche was zusammendichten.
Es gibt folgende Vorwürfe von Heimkindern: "Am schlimmsten von allen war die Schwester Linda." Sie sollen dunkelhäutigen Kindern gesagt haben, dass sie kein Recht hätten zu leben.
Also das ist absolut ... Das ist absolut nicht wahr. Wir haben ein Mal ein einziges Zigeunerkind gehabt und überhaupt nie ein dunkles. Und die war so lieb und die hat mir richtig leid getan. Also das ist hint und vorn erfunden. Die müssen das verwechseln mit einem anderen Heim.
Sie sollen Kinder gezwungen haben, Erbrochenes zu essen.
Das hab` ich nie gemacht.
Warum sollten Menschen so etwas erfinden?
Vielleicht hat`s wer anderer gemacht. Ich weiß es nicht. Bei mir musste niemand Erbrochenes essen. Ob es bei anderen Kolleginnen war, das weiß ich nicht.
Wir haben noch eine Aussage, dass Sie gerne mit Gegenständen um sich geworfen hätten. Ein Mädchen sollen Sie mit einem Messer erwischt haben.
Also die sind ja total verblödet. Das ist alles erfunden und erlogen. Wer wirft mit einem Messer herum?
Warum greift man Sie persönlich an? Das ist ja 40 Jahre her.
Das weiß ich nicht.
Waren Sie streng?
Ich war schon streng. Aber ich hab` mit ihnen auch viel unternommen. Wir sind wandern und schwimmen gegangen.Vielleicht bin ich ihnen deswegen in Erinnerung geblieben. Ich hab` halt immer geschaut, dass die Kinder beschäftigt sind. Und dass sie dann eben am Abend ausgelaugt sind und müde sind und gut schlafen.
Wenn Sie sagen, Sie waren streng - was darf man darunter verstehen?
(stottert) Also, was die da beschreiben, das hab` ich alles bestimmt nicht gemacht. Hie und da hab` ich halt wen Strafe schreiben lassen.
Die Mädchen sagen, sie mussten Strumpfbandgürtel und Strümpfe tragen, mussten sich nackt ausziehen und auf die Terrasse stellen und wurden vorher von Ihnen und anderen Betreuerinnen richtig hübsch ...
Na, na, so ein Blödsinn, das ist ein Wahnsinn.
... und zurechtgemacht.
Das ist ein kompletter Blödsinn. Hint und vorn. Das ist alles erstunken und erlogen. Das hat`s nie gegeben.
Dass Mädchen, die weggelaufen sind, schwer bestraft wurden?
Das ist nicht wahr. Die sind mit dem Taxi abgeholt worden, und am nächsten Tag waren sie wieder weg. Und dann waren noch welche, die schon Jungprostituierte waren. Die haben dann andere Mädchen verschleppt, dass sie auch mit ihnen in den Prater gehen.
Können Sie uns erklären, warum es denn gerade in Ihrem Heim Jungprostituierte gegeben haben soll?
Die waren ja in anderen Heimen auch.
Hat man das als Betreuer nicht in den Griff bekommen?
Na, also das ... (Pause) . Bei manchen war das schon Tradition. Da war das schon die Mutter und die haben irgendwie das Talent dazu gehabt. Jeder hat ja auch nicht das Talent für so einen Beruf (lacht) . Aber diese Beschuldigungen, das ist alles ein Blödsinn.
Es gibt Vorwürfe, dass männliche Betreuer Mädchen in ihrem Zimmer vergewaltigt haben.
Das ist bestimmt nicht wahr. Garantiert nicht.
Im Schlafsaal sollen Kinder vergewaltigt worden sein, von Männern, die ins Heim gelotst wurden.
(hastig) Also einmal ist auch bei mir einer eingestiegen, über den - wie heißt das? - Blitzableiter. Der wollte zu einem bestimmten Mädchen. Dann haben Mädchen zum Schreien angefangen wie am Spieß. Da sind wir munter geworden und der ist über den Blitzableiter wieder hinunter. Und einmal wollt einer beim Parterre hinein, beim Klofenster. Den haben wir aber auch erwischt und rausgeschickt.
Haben Sie diese Personen gekannt?
Nein, das waren jugendliche Burschen, die die Mädchen irgendwo kennengelernt haben. Die sind halt dann auf Besuch gekommen.
Haben Mädchen bei Betreuerinnen im Bett geschlafen?
Nein. Früher haben manche einen Mittagsschlaf gemacht, da haben sich welche allein in ein freies Kinderbett gelegt, damit sie in dem Schlafraum drinnen sind. Damit die Kinder nicht allein sind. Nur zum Aufpassen, aber nicht gemeinsam mit irgendeinem Kind. Das ist eine rege Fantasie.
Fällt Ihnen etwas zu anderen Betreuerinnen und Betreuern ein?
Die waren total integer, die männlichen Erzieher, die im Schloss Wilhelminenberg waren. Da war bestimmt nirgendwo was. Früher einmal, irgendwann muss einmal was gewesen sein. Weil die Direktorin gesagt hat, wir sollen uns nicht von einem Mädchen allein das Bett machen lassen.
Gab es ein Spiegelzimmer?
Ja, das war der Spiegelsaal. Das ist jetzt im Hotel der Festsaal. Wieso, haben die auch gesagt, dass man dort Pornofotos gemacht hat? (Im gesamten Interview wurde nie über Fotos oder Pornofotos gesprochen, Anm.)
Schwester Waltraud, sagt Ihnen die etwas?
Ja, aber was die gemacht hat, kann ich auch nicht sagen. Ich war mit meiner Gruppe beschäftigt. Jeder hat seine Gruppe gehabt, getroffen haben wir uns im Garten zum Spielen. Wir waren auch in
Riccione mit den Kindern. Und auf Skikursen und alles. Und dort sind wir immer nur bewundert worden, dass unsere Kinder brav sind.
Die Kinder- und Jugendanwaltschaft belegt, dass 40 Prozent der Heimkinder, die sich bisher gemeldet haben, sexuell missbraucht wurden.
Das kann ich nicht glauben. Da wollen jetzt sicher welche noch zu einem Geld kommen hinterher.
Wie war so ein typischer Tag im Heim?
Na, also früher war`s halt schon ... wo man sich heute auf den Kopf greift. Die haben müssen gemeinsam aufs Klo gehen, also eine Klotour machen. Das Klopapier ist ausgeteilt worden, aber das war damals wahrscheinlich überall so. Das hat sich ja dann alles gegeben.
Sind Freundschaften entstanden aus dieser Zeit, mit Kolleginnen?
Also es hat schon welche gegeben, die sind dann beieinander gesessen. Eh, grad im Schloss Wilhelminenberg. Da war ein Dienstzimmer. Links ein Schlafsaal, rechts ein Schlafsaal. Und die haben sich da drinnen ihre Liebesgeschichten erzählt. Das waren auch lauter junge Erzieherinnen. Da hat dann so ein Mädchen gesagt "die sind ja größere Huren als wir" (lacht) .
Wie viele Kolleginnen, Betreuerinnen gab es?
Wie viel waren wir ...? Neun Gruppen waren wir. 40 Kolleginnen werden es gewesen sein. Früher waren`s nur weibliche, später sind dann Männer auch gekommen.
Können Sie uns mit Namen weiterhelfen?
Ich seh` eigentlich niemanden mehr. Die männlichen Erzieher, die wir gehabt haben, waren eh alle verheiratet. Das ist der richtige Beweis, dass die da jetzt Sachen zusammenlügen, damit sie ein Geld kriegen.
Wo waren Sie nach dem Wilhelminenberg?
Also da war ich kurz auf der
Hohen Warte (ein weiteres Jugendheim, Anm.) . Aber dort hat`s mir nicht zugesagt, weil von den männlichen Erziehern waren welche wirkliche Schweine. Ob sie was mit den Buben gehabt haben, das weiß ich nicht, das kann ich nicht sagen. Die Männer waren halt nur lästig den jungen Erzieherinnen gegenüber.
Ich zitiere: "Da hat sie uns Dias und Filme über Konzentrationslager gezeigt. Da waren viele dunkle Menschen wie meine Schwester ... ob wir jetzt endlich verstehen, dass wir dort auch hingehören und nicht das Recht haben zu leben. "
Filme hab` ich überhaupt keine hergezeigt. Das ist alles ein Blödsinn. Wie soll ich zu einem Film kommen von einem Konzentrationslager? Selber war ich nur, wo sie mich in der Mittelschule hingeschleppt haben, in Mauthausen. Sonst war ich kein Konzentrationslager anschauen. Also das ist alles erfunden.
Hat auch niemand anderer die Filme gezeigt?
Nein, bestimmt nicht.
Gab es einen Filmvorführraum?
Später haben wir im Keller einen Fernsehapparat gehabt, mit einer Projektion. Ob sie da so einen Film gespielt haben, das weiß ich nicht. Ich habe bestimmt nicht so ein Programm angeschaut. Die haben jedenfalls eine rege Fantasie, damit sie zu irgendeiner Entschädigung kommen .
Das Angebot des KURIER, dass sich ehemalige Heimkinder melden können, hat eine Lawine ausgelöst. Mehr als 40 Männer und Frauen haben seit Sonntag bei der Hotline angerufen. Viele von ihnen hatten bisher nicht die Kraft gefunden, ihre schrecklichen Erlebnisse einer öffentlichen Stelle zu melden.
"Ich hab` noch nie drüber geredet, aber jetzt kommt endlich alles heraus, was uns damals passiert ist", sagte etwa eine Frau, die sich mit unterdrückter Rufnummer gemeldet hat.
Der KURIER rät allen Anruferinnen und Anrufern, sich bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft ( 01/7077000 ) oder bei der Opfer-Hotline des Weissen Ring (01 /4000 -85918 ) zu melden.
Die Experten der beiden Organisationen können rasch und unbürokratisch Unterstützung und Hilfe anbieten.
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