Chronik/Wien

Seestadt Aspern: Kritik am Verkehrskonzept

Für die Seestadt Aspern könnte es schwierig werden, sich als lokales Zentrum zu etablieren. Verkehrsforscher der Technischen Universität (TU) Wien analysierten die Struktur der Straßen in der neu geplanten Seestadt im Nordosten Wiens. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass zentrale Orte, wie die Seepromenade oder Straßenzüge, die in dem neuen Stadtteil als wichtige Achsen gedacht sind, aufgrund ihrer Lage innerhalb des Areals nur schwer diesen Status erlangen können.

In ihren Analysen beschäftigten sich die Wissenschafter nicht nur mit den Entfernungen zwischen mehreren Punkten, sondern vor allem mit der genauen Struktur der Straßenzüge. Dabei liegt das Augenmerk darauf, wie oft man abbiegen muss, um von einem Ausgangspunkt zum Ziel zu gelangen. Die zugrundeliegende Annahme dahinter ist, dass Wege umso länger erscheinen, je komplexer sie sind. "Es ist daher interessant, zu zählen, wie oft man auf dem Weg von A nach B abbiegen muss", so Gerda Hartl vom Institut für Digital Architecture and Planning (IEMAR) der TU.

Lokale Zentren aufspüren

Ihre Kollegin Claudia Czerkauer-Yamu vom Arbeitsbereich "Räumliche Simulation und Modellbildung (Department für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung) hat an der TU Wien als Erste mit dieser Methode gearbeitet und die Stadt Wien als Ganzes analysiert: Alle Straßen Wiens wurden in geradlinige Straßenabschnitte unterteilt, und die durchschnittliche Anzahl der Weg-Stücke von einem Punkt zu allen anderen Punkten im Wiener Stadtgebiet wurde ermittelt. Dabei wurde die "verkehrstechnische Mitte der Stadt", also die Punkte von denen man schnell in die meisten anderen Regionen der Stadt gelangt, identifiziert. Wenig überraschend, lag auch hier das Zentrum Wiens in und um die Innere Stadt. Der Analyse nach können zusätzlich vor allem die Innenbezirke westlich des ersten Bezirks und Teile von Ottakring als verkehrstechnisch zentral betrachtet werden. Weniger gut schneidet nun allerdings das ehemalige Flugfeld Aspern bei dieser Bewertung ab. "Das wäre in dieser Randlage auch gar nicht möglich - so gut lässt sich diese Region einfach nicht an das Zentrum anbinden", so Hartl.

Die Forscher schätzten bei ihrer Vorgehensweise aber auch, wie wichtig eine Straße für die unmittelbare, lokale Umgebung ist. "Wir berechnen, wie viele andere Straßen man von dort auf einfache Weise erreichen kann." Die Gesamtzahl der Nachbarstraßen und wiederum die Anzahl von deren Nachbarstraßen würden einen Hinweise darauf geben, ob eine Straße als lokales Zentrum empfunden wird und Fußgängerströme anzieht. Nach diesen Kriterien untersuchte die Wissenschafterin die Masterpläne für das Stadtentwicklungsprojekt.

Seepromenade "verwinkelt, abgelegen und schwer erreichbar"

"Auch bei dieser lokalen Bewertung schneiden die Pläne für die Seestadt Aspern nicht besonders gut ab", so Hartl. Die Seepromenade sei eine gebrochene Linie und wirke daher "verwinkelt, abgelegen und schwer erreichbar." Auch Straßenzüge, die als zentrale Verkehrsachsen geplant sind, sammeln in ihrer Computersimulation nur wenige Pluspunkte. Hier zeige sich, wie schwierig es ist, am Reißbrett einen Plan zu entwerfen, der einer natürlich gewachsenen städtischen Struktur nahekommt. Die Forscherin weist aber darauf hin, dass letztendlich die Menschen, die dort wohnen, darüber entscheiden, ob ein Stadtteil als Zentrum öffentlichen Lebens angenommen wird oder nicht.