Chronik/Wien

Neue Rätsel um Aliyevs Zelle 10

Nur eine gute Verschwörungstheorie oder doch ein vertuschter Mordfall? Am Tag zwei nach der Veröffentlichung des deutschen Gutachtens, wonach der kasachische Ex-Botschafter Rakhat Aliyev ermordet worden sein soll, legten die Anwälte Manfred und Klaus Ainedter nach. Sie präsentierten am Dienstag einer Journalistenrunde einen neuen Zeugen. Dieser will eine Manipulation am Türschloss der Zelle 10 gesehen haben. In diesem Haftraum der Krankenstation der Justizanstalt Wien-Josefstadt wurde Aliyev am 24. Februar tot aufgefunden. Vermutlich erhängt. Oder eben doch ermordet?

Aliyevs Zellenfreund

Der Mithäftling, der anonym bleiben will, gibt sich als bester Freund des Ex-Botschafters in der Haft aus. Am Tag bevor Aliyev starb, trank er mit ihm ein Cola light. Dabei habe sein Freund von der Zukunft gesprochen. "Als ich am nächsten Tag erfahren habe, dass er Selbstmord begangen hat, dachte ich mir gleich: Das kann doch gar nicht sein."

Doch auch was unmittelbar nach dem Auffinden der Leiche passiert, nährt laut dem Anwaltsteam den Verdacht, manches sei nicht mit rechten Dingen zugegangen. Demnach wurden in den zehn Minuten nach Bemerken des Todes von Aliyev eine Schere und ein Messer aus der Zelle 10 gebracht. Beide seien laut Manfred Ainedter nicht untersucht worden. "Uns wurde gesagt, das hat nichts mit der Tat zu tun", sagt der Anwalt zum KURIER. Das Überwachungsvideo zeigt auch, dass ein Justizwachebeamter offenbar Fotos von der Leiche geschossen hat. Auch diese Bilder seien bisher nicht aufgetaucht.

"Keiner in die Zelle"

Der zuständige Sektionschef Christian Pilnacek antwortet am Dienstag auf die Frage des KURIER, ob sich jemand Zutritt zur Zelle verschaffen konnte, so: "Ich sehe nicht, dass jemand in die Zelle gelangen konnte – außer es sind alle Gutachten falsch." Diese würden sehr deutlich zeigen, dass weder die Videoüberwachung noch der Schließmechanismus darauf hindeuten, dass in der Nacht auf 24. Februar jemand in Aliyevs Zelle gewesen ist.

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Der nunmehr präsentierte Zeuge will aber Manipulationen am Schloss gesehen haben. Er sei drei Tage nach dem Vorfall "von einem Anwaltsgespräch in seine Zelle 8" unterwegs gewesen, als er die mit einem Absperrband gesperrte Zelle 10 sah. Die Tür war offen, ein Handwerker habe das Schloss in der Hand gehabt. "Dabei ist die Anordnung zur Untersuchung erst im März getroffen worden", sagt Ainedter.

Der Zeuge zeichnete eine Skizze des Tatortes. Dabei ist zu sehen, dass an dem Fenster von Aliyevs Zelle ein von Wachpersonal begehbarer Gitterrost vorbei führt. Auf Nachfrage meint der Zeuge, dass man auf diesem Weg in den Haftraum hätte gelangen können. Er sei aber nie als Zeuge einvernommen worden: "Es wurde jeder in dem befragt – außer mir, der Aliyev wirklich gut gekannt hat. Das hat mich schon gewundert."

Pilnacek betont, dass es keine "Wende" in dem Fall gebe: "Jetzt kommt es darauf an, was die Gutachter in St. Gallen sagen."