"Und das Obst kaufens dann beim Billa"
Von Monika Payreder
Das Gesicht der "schönen Madame" wird knallrot wie die Äpfel am Stand gegenüber. Ein schüchternes Lächeln schenkt das junge Mädchen dem Falafelmann, die angebotene Dattel kann er sich aber behalten. Im Lokal daneben rutscht der Kellnerin ein volles Tablett aus der Hand; ein Eck weiter verjagt ein Standler den bettelnden Zeitungsverkäufer von einer Prosecco-schlürfenden Damenrunde. "Jetzt marschier, du Trottel, lass meine Gäst’ in Ruh’."
Ein größeres Fremdwort gibt es hier wohl nicht. Zur Ruhe kommt der Naschmarkt schon seit Jahren nicht.
Die Leute kämen nur noch zum Schauen, zetern die einen. Kaufen könne man ja nichts mehr, kontern die anderen. Schließlich würden nur noch Wasabinüsse, Kebab und Touristenkitsch angeboten – und die paar Trauben, die es noch gebe, würden für jeden Normalverdiener zu hoch hängen.
Sudernde Wiener
Martina Himmelsbach, die am gleichnamigen Stand gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang in dritter Generation Obst und Gemüse verkauft, geht "dieses typische Wiener Gesudere" gewaltig auf die Nerven: "In jeder Zeitung steht, dass der Markt stirbt. Das schadet uns sehr. Ständig sagen Leute zu mir: ,Zu euch kann man ja nicht mehr kommen, weil es gibt ja nix mehr.‘ Und wennst die, die am lautesten schreien, fragst, wann sie denn zum letzten Mal am Markt waren, sagen sie: ,Ach, das ist sicher schon zehn Jahre her.'"
Dass in der Zeit tatsächlich etliche Geschäfte zugesperrt haben, wie zuletzt der Radatz, "tut mir auch weh", sagt Himmelsbach. "Aber vielen fehlt es einfach an Ideenreichtum. Als Marktstandler kannst du nicht einfach und schnell viel Geld verdienen. Man braucht sehr viel Liebe – und immer neue Ideen." Sie selbst, sagt Himmelsbach, würde etwa gern auch geschnittenes Obst oder fertige Gemüsesuppen anbieten – "aber ich hab leider nur zwei Hände".
Dürfen würde sie das. Die Marktordnung gestattet Standlern, dass sie auf bis zu acht Verabreichungsplätzen Essen kredenzen und Getränke ausschenken.
Ein Stück weiter hinten am Markt, im neu eröffneten L’italia al mercato, macht man das. Hier werden die Delikatessen aus Italien nicht nur über die Gasse verkauft, man kann sie auch im Lokal konsumieren. Etwa ein Drittel des Umsatzes mache man damit, sagt Herr Gerald.
Kein Wunder also, dass immer mehr Standler auf diese Strategie setzen – und so leicht der Eindruck entsteht, der Naschmarkt bestünde nur noch aus Gastronomie. "Erstens ist das nicht so", sagt Herr Gerald. Und zweitens sei alles im Leben eine Frage von Angebot und Nachfrage.
"Es würd auch nicht so viel Wasabinüsse geben, wenn die Leut’ sie nicht kaufen würden. Würde mehr Obst und Gemüse nachgefragt, würde es auch angeboten. Aber die Leute kaufen am Markt vielleicht ein Stückerl Käs’ – und das Obst kaufens dann beim Billa."
Zu teuer?
Vielleicht, weil der Naschmarkt schlicht und einfach zu teuer geworden ist? Und die Konkurrenz mittlerweile auch hip, aber billiger ist? „Ein Standler am Naschmarkt zahlt aber auch viel mehr als ein Standler auf einem Markt irgendwo in der Peripherie“, sagt Herr Gerald. „Und leben muss man ja auch, herschenken kann ich’s nicht.“
Apropos zahlen. Dass zum Teil horrende Ablösen für Stände am Naschmarkt fließen sollen, will keiner der Händler bestätigen. Abstreiten aber auch nicht. "Ganz ehrlich", meint ein Standler, der nicht genannt werden will, "wenn jemand kommt und sagt, ich zahl dir das und das für dein Geschäft – würden Sie es dann nicht machen?"
Harte Nuss
Zurück zu Herrn Gerald. "Schaun S’, der Naschmarkt stirbt alle zehn Jahre einmal. Und es gibt ihn noch. Und es wird ihn auch immer geben – in welcher Form auch immer." Vielleicht mit einer Markthalle, wie von der SPÖ gewünscht? "Was soll das bringen? Noch mehr Standeln – und noch mehr Wasabinüsse."
Deretwegen kommt Ursula Hollenstein nicht. Sie kauft am Markt Obst und Gemüse "und beim Perser den besten Reis" und versteht nicht, "wieso so wenig Leute hier einkaufen. So eine Qualität bekomm ich sonst nirgends. Ja, es ist teurer. Aber es schmeckt auch um Welten besser."
Ist also eh alles pipifein am Naschmarkt? Nein, die laufende Sanierung bereitet Standlern wie Gastronomen Kopfzerbrechen. "Wegen der Baustelle kommen die Leute nicht durch", klagt etwa Marcello, Küchenchef in der Trattoria La Piazzetta, die wie das "Asia Time" und der ehemalige Radatz-Stand (wo bald wieder Fleisch, auch Schweinefleisch, angeboten werden soll) den Brüdern Taskin, Big Playern am Naschmarkt, gehört. "Und von den 800 Touristen, die durchrennen", sagt Marcello, "setzen sich nicht einmal 50 nieder. Weil ja ihr Bus vorne wartet."
Ein weiteres Problem seien die fehlenden Parkplätze: "Viele unserer Stammkunden machen ihren Wocheneinkauf bei uns", sagt Obsthändlerin Himmelsbach. "Die wollen das dann nicht durch die halbe Stadt schleppen, die kommen nicht mit der U-Bahn."
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