Chronik/Wien

Reparieren statt zumüllen

Die erste Wiener Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt: Ein Dorado für Menschen, die lieber an ihren Rädern herumtun als in deren Pedale zu treten. Aber auch eine Option für jene, die sich mit einigen Kniffen und Handgriffen das Service professioneller Radmechaniker ersparen.

Die Werkstatt liegt voll im Trend: Selbst an Winterabenden wird hier, im Werkstätten- und Kulturhaus an der Währinger Straße, intensiv geschraubt, gebohrt, gehämmert, getüftelt.

Seiner Zeit voraus

„Wir sind uns hier einig, dass man nicht alles, was hin ist, sofort wegschmeißen muss“, erklärt Hans Erich Dechant, ein gelernter Maschinenbauschlosser und Szeneoriginal.

Hauptberuflich leitet der „H. E.“, wie er an vielen Orten in Wien ehrfürchtig genannt wird, mit seiner Erfahrung die Gewista-Fahrradverleihfirma Citybike Wien. Ehrenamtlich engagiert er sich seit 25 Jahren in der WUK-Fahrrad-Werkstätte.

Dechant ist damit seiner Zeit ein gutes Stück voraus. In den 1980er-Jahren, als die Betonierer und die Autolobby noch mehr zu reden hatten und das Wort Nachhaltigkeit noch nicht modern war, tat man in Wien Leute wie ihn gerne als weltfremde Spinner ab. Warum ein Rad fahren oder reparieren, wenn es doch mit dem Auto viel gemütlicher vorangeht?

So ändern sich auch in Österreich die Trends. Nur der Tarif in der Radwerkstatt hat sich nicht geändert. „Drei Euro für einen Abend“, sagt Heinrich Flickschuh, der an diesem Abend ehrenamtlich Dienst versieht. „Die drei Euro haben wir seit der Einführung des Euro beibehalten.“

Darin inkludiert sind die Tipps der Experten, das gesamte Spezialwerkzeug, das im Laufe der Jahre von alteingesessenen Wiener Radwerkstätten gratis zur Verfügung gestellt wurde, und ausreichend Ersatzteile.

Ohne Eigenengagement geht hier aber nichts. „Wer meint, dass wir ihm hier gratis sein Fahrrad reparieren, ist fehl am Platz“, sagt Dechant streng. „Sich selbst die Hände schmutzig machen, das muss man bei uns schon.“

Seit 15 Jahren haben die Betreiber der Werkstatt keinen Folder mehr gedruckt. Dennoch stoßen sie bereits an Kapazitätsgrenzen. Mehr als 3000 Gäste wurden im abgelaufenen Jahr gezählt.

Inzwischen gibt es mit der Bikekitchen und der Flickerei zwei ähnliche Anlaufstellen in Wien. Dennoch reißt der Zulauf im WUK nicht ab.

„Für mich ist die Werkstatt eine Bereicherung“, erklärt Heinrich Flickschuh, den sie „Heini“ nennen, warum er sich hier engagiert. Er könne Leuten helfen, dabei immer auch etwas lernen.

Reparatur-Netzwerk

Ähnliche Werkstätten gibt es inzwischen auch in den Bundesländern. In Wien wird gleichzeitig das Reparatur-Netzwerk von Betrieben und Initiativen, die re- und upcyclen, immer engmaschiger – und die Liste der Umweltberatung immer länger, siehe www.reparaturnetzwerk.at. Eine Übersicht sozial-ökonomischer Betriebe bietet indes eine neue Gratis-Broschüre der Arbeiterkammer Wien.

Nach getaner Arbeit prosten sich die privaten Radmechaniker und ihre Lehrmeister mit Bier vom Nahversorger zu. Dabei werben sie auch für ihren Radflohmarkt, der immer am ersten Mittwoch im Monat abgehalten wird und bei dem man abseits der Müllplätze seinen alten Gaul für gutes Geld los werden kann oder aber fern der marktschreierischen Diskonter ein echtes Schnäppchen ergattern kann.

Info
www.fahrrad.wuk.at
Alles über die Selbsthilfe-Fahrradwerkstätte. Nächster Flohmarkt am ersten Mittwoch im Februar.

Immer mehr verzichten auf ein eigenes Auto

Nur 16 Prozent von 1000 vom Gallup-Institut befragten heimischen Autofahrern sehen ihren fahrbaren Untersatz als „Statement der Persönlichkeit“, das somit widerspiegeln soll, was sie in ihrem Leben erreicht haben. „Der Weg vom klassischen Statussymbol hin zum praktischen Fortbewegungsmittel war ein schleichender in den vergangenen Jahren“, sagt Felix Clary, Sprecher der heimischen Automobilimporteure.

Nur noch 60 Prozent wollen laut einer Gfk-Studie (1100 Befragte) einen eigenen Pkw. 14 Prozent setzen ausschließlich auf Carsharing. Dabei handelt es sich nicht nur um Jüngere. Im Gegenteil: Ab einem Alter von 40 Jahren steigt ihr Anteil an. In Wien gibt es bereits drei Carsharing-Anbieter: Flinkster, Zipcar (carsharing.at) und Marktführer Car2Go von Daimler. Kein Wunder also, dass VW der Nachfrage Rechnung trägt und 2014 in den Großstädten mit einem eigenen Angebot starten will.

Dennoch: Mit rund 315.000 Pkw-Neuzulassungen wird 2013 das sechstbeste Verkaufsjahr aller Zeiten.

In seiner Firma leiht jeder gern sein Auto einem Kollegen – auch er selbst, sagt Heini Staudinger. Oft ist der Firmenchef aber auch per Autostopp unterwegs. „Seit der Sache mit der FMA kennen mich die Leut’ – da bin ich fast gleich schnell wie beim selber Fahren.“

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KURIER:Tauschen statt kaufen – ist das bei Ihnen ein Thema?
Heini Staudinger:In unserem Betrieb in Schrems arbeiten 150 Leute. Einmal im Monat feiern wir die Geburtstagskinder des Monats, und jeder bringt Zeugsvon zu Hause mit– von Geschirr über Anoraks bis zu CDs, Büchern, und einmal gab es sogar einen Fernseher. Die Geburtstagskinder dürfen sich dann aussuchen, was sie mitnehmen wollen.

Und der Rest?
Den Rest dürfen dann die anderen mitnehmen. Was zwei Mal hintereinander übrig bleibt, geht an die Caritas. Diese Aktion ist wahnsinnig einfach, kostet uns nix und ist sympathisch.

Wie viele Paar Schuhe haben Sie?
Zwanzig Paar. Weil ich der strengste Schuhtester bin und die neuen Modelle teste. Wenn ein Schuster einen Kollegen testet, ist er nicht so streng. Ich sag staubtrocken, wo der Schuh drückt und es kann ganz schön mühsam sein, bis der Grund gefunden wird. Ein bis zwei Mal im Jahr bring ich meine getesteten Schuhe dann unters Volk. Geb sie an Asylwerber oder an arme Leut.

Der Schuhmarkt ist dominiert von Billigimporten ...
Der Österreicher kauft laut Statistik vier Paar Schuhe im Jahr – vor ein paar Jahren waren es noch sechs Paar. In der Schweiz ist der Trend ähnlich. Es werden wieder höherwertige Schuhe gekauft. Wir sind da gut dabei. Unsere Schuhe werden mitunter zwei bis drei Mal zum Service gebracht.

Wie viele Leute lassen sich ihre Waldviertler denn bei Ihnen reparieren?
Wir produzieren 105.000 Schuhe und reparieren mehr als 10.000 im Jahr. Wir wollen gemeinsam mit der Berufsschule eine Reparaturakademie gründen, in der man in 15 bis 20 Wochen zum Schuhflicker ausgebildet wird. Es gibt ja auch kaum mehr Schuster im Land.

Wie viele bilden Sie denn aus?
Bisher hatten wir immer zwei pro Jahrgang, künftig fünf. Österreichweit gibt es derzeit 26 in zwei Berufsschulen.

Gibt es so viel Bedarf?
Ich denke, wir werden in Zukunft noch viel weniger wegwerfen und mehr reparieren.

Gibt es bei Ihnen zu Hause zu Weihnachten Geschenke?
Geldwertgeschenke schon lange nicht mehr. Aber meine Mutter backt den Enkelkindern zu Weihnachten immer eine Torte.