Kommt neue S-Bahn-Trasse unter Zentrum von Wien?
Auf den ersten Blick klang die Idee des niederösterreichischen Verkehrslandesrats Karl Wilfing (ÖVP) mehr nach einer Utopie, als nach einem realisierbaren Verkehrsprojekt: Um den zunehmenden Pendlerströmen gerecht zu werden, soll eine neue S-Bahn-Trasse unter dem Zentrum der Bundeshauptstadt gebaut werden.
Ganz anders klingen freilich die Reaktionen aus den Städten des Wiener Umlands. Aus Klosterneuburg, Purkersdorf und Mödling kommt von den Bürgermeistern über Parteigrenzen hinweg Lob für Wilfings Vorschlag, lediglich Schwechats Stadtchef Gerhard Frauenberger ist skeptisch. Klosterneuburgers Bürgermeister Stefan Schmuckenschlager (ÖVP) unterstützt die Idee: „Ich halte das für wesentlich realistischer als die vielen Ideen um eine U-Bahn-Verlängerung.“ Eine zusätzliche S-Bahn in Wien wäre im Sinne der Stadt und ihrer Pendler, sagt Schmuckenschlager.
Taktfahrplan
Auch Purkersdorfs Stadtchef Karl Schlögl (SPÖ) hat ursprünglich eine Verlängerung der Wiener U4 nach NÖ präferiert, ließ sich aber umstimmen. „Alle Experten haben mir gesagt, das rechnet sich nicht. Nicht nur wegen der Baukosten, auch für den laufenden Betrieb wären die Passagierzahlen zu gering.“ Statt dessen setzt man in Purkersdorf auf eine Verdichtung der S-Bahn-Verbindungen und die Einführung eines Taktfahrplanes. „In diesem Sinne ist Wilfings Idee nicht von der Hand zu weisen; ich sehe das allerdings langfristig“, sagt Schlögl.
Mödlings Bürgermeister Hans-Stefan Hintner (ÖVP) meint zu dem Vorschlag: „Wien und Niederösterreich sind ein zusammenhängendes Verkehrsgebiet. Die Passagiere wollen bequeme Verkehrsmittel und mit möglichst wenig Umsteigen ans ziel gelangen.“ Die Umsetzung von Wilfings Vorschlag sei „eine Frage des politischen Willens und der Wertigkeit“, meint Hintner und verweist auf den Koralmtunnel: „Der wird auch gebaut, obwohl er niemals wirtschaftlich geführt werden kann.“
Schwechats Stadtchef Gerhard Frauenberger (SPÖ) hält eine zusätzliche S-Bahn-Trasse in Wien wegen der hohen Kosten für unrealistisch und Wilfings Idee für eine Vision: „Aber die Gesellschaft braucht Visionen, auch wenn sie schräg sind.“
Wenn Walter Riesenberger Vorschläge zur Verbesserung bei den Öffis macht, weiß er genau, wovon er spricht: Denn der heute 60-Jährige war 35 Jahre lang Eisenbahn-Sicherungstechniker im Wiener U-Bahn-Bau.
Riesenberger kann dem Wilfing-Vorschlag für eine zusätzliche S-Bahn-Trasse unter dem Wiener Stadtzentrum nichts abgewinnen: „Viel zu teuer und daher unrealistisch.“ Statt dessen setzt der Schienen-Experte auf Taktverdichtungen auf den bestehenden Strecken. Dies sei mittels Aufrüstung der Sicherheitstechnik durchaus möglich und weitaus billiger zu bewerkstelligen als neue Tunnel: „Mit zeitgemäßer Technik wären Zugabstände von nur 90 Sekunden möglich“, sagt Riesenberger.
Der Schlüssel zur Frequenzverdichtung heißt „European Train Control System“ (ETCS) und ist schon heute Praxis im Zugverkehr: Computer stellen mittels Signalgebung und Echtzeit-Kommunikation mit den Führerständen sicher, dass in jedem Streckenabschnitt zwischen zwei Signalen (Eisenbahner sagen „Block“) nur jeweils ein Zug fährt. Die Datenverbindungen zu den Zügen werden dabei über den GSM-Mobilfunkstandard abgewickelt.
Eine Weiterentwicklung dieses Systems setzt statt GPS auf schnellere Wifi-Verbindungen, um mit den Zügen zu kommunizieren, erklärt Riesenberger. Mit Hilfe dieser Technik wären die jeweiligen „Blöcke“ flexibler und kleiner; auf optische Signale könnte gänzlich verzichtet werden. Die Folge wären stark verkürzte Intervalle. Umgesetzt ist das neue System freilich in Europa noch nirgends.