Chronik/Wien

Ärzte ließen Häftling fast sterben

Bauchschmerzen sind in der Justizanstalt Wien-Josefstadt kein Aufreger. Bei mehr als 1000 Häftlingen kann man sich nicht um jedes Wehwehchen kümmern. Wenn aber der Blutzuckerwert entgleist und die Leukozytenzahl erhöht ist, was auf eine Entzündung hinweist, müssten Alarmglocken läuten.

Bei den Gefängnisärzten läutete gar nichts. Sie ließen den Blutbefund liegen und stellten den in U-Haft sitzenden Gastwirt Veyis Er mit Schmerzmitteln sowie der Erklärung ruhig, er solle nicht simulieren. Bis es fast zu spät war: Blinddarmdurchbruch, Blutvergiftung, Notoperation, 40 cm lange Narbe, sechs Wochen Intensivstation. Die Frau des kleinen Spielautomaten-Betrügers sagt, er habe wochenlang über Schmerzen im Bauch geklagt, „aber es hat keiner zugehört“.

Aus dem Gutachten der Gerichtssachverständigen Jutta Gisinger lässt sich deutlich ein fahrlässiges Verhalten der Ärzte in der Justizanstalt Josefstadt herauslesen:

Der 51-Jährige hatte ab Mitte August 2011 Schmerzen. Am 2. September wurde er in die Krankenabteilung aufgenommen. Blutabnahme am 8. September. Erst zwei Tage später untersuchte ihn eine Ärztin, attestierte einen harten Bauch und verordnete eine Röntgenkontrolle. Diese ließ weitere zwei Tage auf sich warten und ergab eine mögliche Blinddarmentzündung. Noch einen Tag später erfolgte zuerst eine weitere Untersuchung, bis Veyis Er endlich ins Krankenhaus der Barmherzigen Brüder überstellt wurde.

„Bereits zwischen 4. und 5. 9. hätte eine umfassende Laboruntersuchung erfolgen müssen. Spätestens am 8. 9. hätte eine stationäre Einweisung erfolgen sollen“, schreibt Internistin Gisinger.

107 Schmerztage

„Jeder von uns kann durch einen Verdacht zum U-Häftling werden“, sagt der Anwalt von Familie Er, Gerold Beneder: „Und dann begeben wir uns im Krankheitsfall in die Hände solcher Ärzte.“ Der inzwischen längst aus der Haft entlassene Gastwirt klagt die Republik Österreich auf 70.000 Euro Schmerzensgeld und die Haftung für Spätfolgen. Er kann seit dem Blinddarmdurchbruch nur 300 Meter weit gehen, dann knickt er ein. Im Gutachten sind 24 Tage schwere, 48 Tage mittelschwere und 35 Tage leichte Schmerzen aufgelistet.

Eigentlich sollte sich auch ein Staatsanwalt für die Versäumnisse im medizinischen Bereich der Justizanstalt interessieren.