Chronik/Wien

Geheimer Terrorprozess gegen Burschen

Fünf Burschen mit afghanischen, tschetschenischen und türkischen Wurzeln zwischen 15 und 17 Jahren mussten sich Donnerstag im Wiener Landesgericht wegen Mitwirkung an einer terroristischen Vereinigung verantworten. Sie wollten sich laut Anklage der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) anschließen. Was den Prozess besonders brisant machte, war der Vorwurf, ein Angeklagter habe zehn- und elfjährige Buben als IS-Kämpfer anzuwerben versucht.

Man wird jedoch nie erfahren, wo und wie die Burschen radikalisiert worden sind. In einer Moschee? In welchem Umfeld? Drei Angeklagte – zwei davon sind noch Schüler – sollen schon Ausreisepläne nach Syrien verfolgt haben. Die Behörden stoppten das Vorhaben. Der Vater eines Burschen hatte sich geweigert, seinem Sohn den Reisepass auszuhändigen. Daraufhin soll der Jugendliche mit dem Schraubenzieher auf den Vater losgegangen sein. Dieser alarmierte die Polizei.

Enthaftet

Bei so vagen Angaben wird es bleiben. Und es bleibt auch ein Geheimnis, wie die sogenannte Deradikalisierung der Burschen angegangen wurde bzw. wird. Von einem Angeklagten ist bekannt, dass er im Mai an der bulgarischen Grenze festgenommen wurde, als er unterwegs ins Kampfgebiet nach Syrien war. Der 16-Jährige wurde gegen gelindere Mittel aus der U-Haft entlassen und soll sofort wieder versucht haben, jüngeren Burschen den Dschihad ("Heiligen Krieg") schmackhaft zu machen. Daraufhin wanderte er zurück in die Zelle.

Wie der KURIER recherchierte, soll der Rekrutierungsversuch just zu jener Zeit stattgefunden haben, in der der 16-Jährige in Haft saß. Auch die Aufarbeitung dieses Widerspruchs soll die Öffentlichkeit nicht erfahren.

Der Verein Derad hat angeblich mit den Angeklagten Gespräche geführt. Diese Gruppe aus Sozialarbeitern, Pädagogen und Islamwissenschaftlern bietet im Auftrag des Justizministeriums Maßnahmen zur Deradikalisierung in den Gefängnissen an. Ob das Programm gegriffen oder versagt hat, bleibt jedoch ebenfalls im Dunklen, denn die Öffentlichkeit wurde bereits vor Verlesung der Anklage und der Erwiderung der Verteidiger auf deren Antrag ausgeschlossen.

Im Hinblick auf das geringe Alter der Beschuldigten sei es nicht geboten, familiäre Verhältnisse coram publico zu erörtern, erklärte die vorsitzende Richterin. Das "spätere Fortkommen" der Jugendlichen sei womöglich beeinträchtigt. Die Doppeldeutigkeit des Wortes "Fortkommen" provozierte im Publikum sofort zu Kombinationen: Weiter fort als zum IS nach Syrien könne man ohnehin nicht kommen.

Urteil öffentlich

Während Journalisten aus dem Saal gewiesen wurden, durften Rechtspraktikanten und Jusstudenten bleiben. Die Urteilsverkündung musste laut Gesetz öffentlich sein: Teilbedingte Strafen zwischen 18 und 30 Monaten. Der 16-Jährige, der junge Buben anzuwerben versucht haben soll, muss von zweieinhalb Jahren Strafe zehn Monate absitzen. Gegen einen nicht geständigen Angeklagten wird der Prozess später fortgesetzt.

Zuallererst sorgte sich die Richterin um sich selbst: "Keine Aufnahmen von mir", lautete die Anweisung an die Fotografen. Noch praktischer ist es, die Medien gleich ganz auszuschließen. So bleibt verborgen, wo sich die Jugendlichen radikalisiert haben und ob die viel gepriesene Deradikalisierung wirkt. Die Urteilsverkündung muss öffentlich sein: Ein Herunterbeten von Paragrafen, ohne dass man konkret erfahren würde, weshalb die Burschen verurteilt wurden. Polizisten ermitteln verdeckt, Staatsanwälte klagen im Geheimen an, Richter verhandeln hinter verschlossenen Türen. Eine transparente Justiz, die einem Erfolgsnachweis unterliegen sollte, schaut anders aus. Am Ende bleibt nur das Rezept zur Bekämpfung der Kriminalität im Bewusstsein, das Justizminister Wolfgang Brandstetter gern ausgibt: "Wer Gewalt sät, wird Gefängnis ernten."