Wiederkehr will Gebührenvalorisierung in Wien nächstes Jahr aussetzen
Der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) spricht sich dafür aus, die nächste Gebührenvalorisierung, also die automatische Inflationsanpassung der städtischen Gebühren für Müll, Wasser oder Parken, auszusetzen.
Die Gebühren steigen, wenn der Verbraucherpreisindex einen gewissen Wert überschreitet. Da die Inflation derzeit hoch ist, gilt es als sehr wahrscheinlich, dass die Preise im kommenden Jahr schon wieder nach oben klettern werden. „Ja, es ist unser Anliegen, hier eine Entlastung der Bevölkerung zu ermöglichen. Öffentliche Gebühren sind da eine mögliche Stellschraube“, sagte der Neos-Chef. Die Gespräche mit der SPÖ über einen diesbezüglichen Stopp seien noch im Laufen, sagte er zur APA.
Die Forderung nach einer Mietpreisbremse im Gemeindebau teilt Wiederkehr hingegen nicht. Er halte es für schwierig, einen einzelnen Wohnungsmarkt wie den Gemeindebau herauszunehmen und für diesen eigene Regelungen zu treffen.
Zusammenarbeit funktioniert
An sich ist Wiederkehr mit dem Koalitionsklima nicht unzufrieden. "Es gibt immer wieder Reibungen, weil wir zwei unterschiedliche Parteien sind. Wir haben es aber geschafft, uns auszumachen, dass wir gemeinsam die Probleme, die es gibt, lösen. Weil das ist auch die Erwartungshaltung der Bevölkerung." Damit unterscheide man sich klar von der Koalition im Bund: "Wir streiten nicht öffentlich, sondern wir diskutieren intensiv und bringen dann Kompromisse und Lösungen auf den Weg."
Es bestehe eine sehr gute Arbeits- und Gesprächsebene, auch mit Bürgermeister Michael Ludwig. Getrübt war die gute Stimmung nur vereinzelt. Die Informationspolitik bei der Wien Energie sei etwa eine "Katastrophe" gewesen, befand Wiederkehr. Es habe sich dabei wohl um den bisher problematischsten Fall in der Legislaturperiode gehandelt, verwies er auf die Turbulenzen rund um die Notkredite für den Versorger im vergangenen Sommer.
Skeptisch gegenüber Babler
Dass eine Kooperation mit den Sozialdemokraten im Bund ebenso gut funktionieren könnte, bezweifelt der Wiener Neos-Chef ganz offen. Der neue SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler habe es diesbezüglich mit seinen Forderungen "sehr schwierig" gemacht. "Eine 32-Stunden-Woche ist komplett unrealistisch und wäre wirtschaftspolitischer Selbstmord für den Standort Österreich. Und auch seine Haltung zur europäischen Union finde ich mehr als befremdlich", nannte Wiederkehr Beispiele.
Dass Babler die EU als aggressives Konstrukt bezeichnet habe, das schlimmer als die NATO sei, sei zu kritisieren: "Mit Europa spielt man nicht." Dies seien heikle Punkte. Ein klares Bekenntnis zu Europa sei nötig. Was Babler bisher gesagt habe, sei also "mehr als enttäuschend".
Interne Baustellen angehen
Es gehe für die Neos darum, bei der nächsten Nationalratswahl so stark zu werden, damit man bei den nächsten Regierungsverhandlungen "relevant sei", sagte Wiederkehr. Man müsse erreichen, dass über die Themen der Neos geredet werde - also wie man die Menschen entlasten könne. Dass die Neos zuletzt nicht immer nur stärker wurden, sondern in Salzburg aus dem Landtag geflogen sind, ist für Wiederkehr eine "bittere Niederlage".
Man sei dafür aber auch selbst verantwortlich. Es habe massive interne Streitigkeiten gegeben, auch die Struktur sei zu wenig aufgebaut worden, befand der Wiener Vizebürgermeister. "Wir lernen daraus, sehen aber, dass wir bei anderen Wahlen klar zulegen konnten." Bundesweit sei man bei Umfragen derzeit stabil über dem letzten Wahlergebnis.
In Wien wird der Schwerpunkt für den Rest der Legislaturperiode beim Thema Bildungsinnovationen liegen, erläuterte Wiederkehr. Er verwies etwa auf das Projekt "Wiener Bildungschancen", über das Workshops in Schulen veranstaltet werden können.
Lehrermangel ist großes Problem
Eine "riesige Herausforderung" sei weiterhin die Personalsituation. "Wir arbeiten massiv daran, dass wir genug Lehrkräfte finden." Herausfordernd seien hier die Bereiche Volksschule und Sonderpädagogik. "Da setzen wir jetzt viele Maßnahmen, um über den Sommer noch Personal zu finden. Es ist weiterhin eine Bewerbung möglich, wir haben es auch geschafft, den Quereinstieg zu forcieren."
Noch sei es zu früh, zu sagen, ob oder wie viele Lehrkräfte insgesamt in Wien fehlen werden, berichtete Wiederkehr. Schwierig sei vor allem, in der Volksschule Lehrkräfte zu finden, die Vollzeit eine Klasse betreuen. Dies habe oberste Priorität. Und er stellte klar: "Wir können garantieren, dass jedes Kind einen Unterricht haben wird." Für Wiederkehr ist aber auch der Bund säumig. Dieser bilde nicht genug Personal aus, bekrittelte er. Hier sei lange geschlafen worden.
Auch die Elementarpädagoginnen und -pädagogen haben zuletzt mit Protesten auf sich aufmerksam gemacht. Man arbeite laufend daran, um Personal in den Kindergärten zu entlasten, versicherte Wiederkehr. Es sei aber "tatsächlich gravierend", wie viele Elementarpädagogen fehlen würden. Assistenzstunden, so hob er hervor, habe man schon verdoppelt, weitere Schritte seien geplant.
Wien als Vorbild in der Ausbildung
Dass Personal von Schule und Kindergarten in andere Bundesländer abwandert, sei verständlich, so Wiederkehr. Personen, die in Niederösterreich wohnen und bisher keinen Job dort hatten, würden oft wechseln, etwa wenn dort ein Kindergarten in der Gemeinde errichtet werde. Die Aufgabe wäre es, österreichweit genug Fachkräfte auszubilden. Wien sei hier Vorreiterin, etwa mit eigenen Kollegformen. "Hier sind die andere Bundesländer gefordert, selber solche Initiativen zu setzen."
"Weil sich gegenseitig das Personal abzuwerben, wird das Problem nicht lösen", prophezeite der Bildungsstadtrat. Wien werde den eingeschlagenen Weg jedenfalls fortsetzen: "Wir bauen eine neue Kindergartenschule, haben ein Ausbildungsgeld implementiert und wir haben ein Ziel, nämlich bis 2025 insgesamt 2.500 neue Pädagoginnen und Pädagogen in Wien auszubilden." Auch die Bezahlung sei massiv angehoben worden.
Man versuche auch, die Schulbürokratie zu reduzieren. So habe man es etwa geschafft, dass jede Wiener Pflichtschule ein Sekretariat bekomme. "Das war davor nicht der Fall." Man wolle dies auch weiter ausbauen: "Hier gibt es aber leider einen finanziellen Deckel des Bundes." Wiederkehr forderte, im Zuge des Finanzausgleichs den Ländern zu ermöglichen, in diesem Bereich mehr zu investieren.
Zu geringer Stellenwert von Bildung
Es sei ein "riesiges Problem", dass im Zusammenhang mit dem Finanzausgleich derzeit nur die Neos über Bildung reden würden, befand er. "Das halte ich für zukunftsvergessen." Bildung sei mindestens so wichtig wie Gesundheit. Es gehe etwa um die Frage, wie Kinder mit Behinderung besser inklusiv geschult werden könnten. Der Fokus des Bildungsministerium sei eher, "unausgegorene Projekte" wie pädagogische Assistenzen in einen Finanzausgleich einzubringen, kritisierte der pinke Landesparteichef.
Dass Wien aktuell am schlechtesten abschneidet, was den Anteil an Pflichtschüler mit Behinderung anbelangt, die gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung unterrichtet werden, ist laut Wiederkehr ein Problem der statistischen Erfassung. Denn Wien habe den Weg der verkehrten Inklusion gewählt. "Wir öffnen Sonderschulen und schließen daran Regelschulklassen an. Diese werden aber in der Statistik als Sonderschulen geführt. Das heißt, diese Statistik ist trügerisch."