Chronik/Wien

"Warum sollte ich Wurst daraus machen?"

Frauen sind grundsätzlich netter zu Pferden", sagt Martina Michelfeit. Die Wienerin muss es wissen. Seit 25 Jahren kutschiert sie Touristen durch die Stadt – davon suchen sich viele gezielt eine Frau aus. Michelfeit lacht. "Das heißt aber nicht, dass alle Männer böse sind."

Alle Inhalte anzeigen
Pferde spielten schon immer eine tragende Rolle im Leben der 45-Jährigen. Als Kind durfte sie im Pony-Karussell führen, in den Jahren danach verschrieb sie sich dem Showreiten. Zur Matura schenkte sie sich schließlich ihr erstes Fiaker-Pferd. "Ich gehöre zu den Leuten, die ihren Traum umgesetzt haben", sagt die resolute Fiaker-Fahrerin. "Der ist halt manchmal scheiße, aber ich hab’ ihn umgesetzt."

Im Gegenwind

Die Sprecherin der Wiener Fiaker ist Gegenwind gewohnt. Vergangene Woche ging im Prater ein Gespann durch und beschädigte sieben Autos, ein Pferd verletzte sich dabei (der KURIER hat berichtet). "Gerade nach solchen Vorfällen wird es immer ganz laut", sagt Michelfeit gelassen. "Dabei wird ja auch nicht nach jedem Autounfall gefordert, dass man Autos abschaffen muss."

Alle Inhalte anzeigen
Die Branche stehe regelmäßig am Pranger, moniert die studierte Soziologin. "Der Wiener Tierschutzverein behauptet oft Sachen, die wider das Gesetz sind." Anschuldigungen, wonach die Fiaker-Pferde nach einer Saison zum Fleischhacker geschickt würden, seien falsch, klärt Michelfeit auf.

"Es dauert Jahre, bis man ein gutes Gespann hat, auf das man sich verlassen kann. Warum sollte ich Wurst daraus machen wollen?" Zudem würden viele Leute glauben, dass die Pferde gegen ihren Willen vor die Kutsche gespannt werden. Ein Trugschluss, sagt die Wienerin. "Wenn die Pferde nicht dazu bereit wären, dann würden sie nicht mit so einer Gelassenheit mitlaufen."

Alle Inhalte anzeigen
Trotzdem komme es regelmäßig zu kritischen Situationen – etwa, wenn sich Radfahrer an der Kutsche vorbeizwängen. Auch Fußgänger neigen dazu, noch kurz vor der Kutsche über die Straße zu laufen, schildert Michelfeit und schmunzelt. "Wir haben nun mal einen echt heftigen Bremsweg."

Konkurrenzdruck

Unter den Fiaker-Fahrern herrscht große Konkurrenz. Die Anzahl der Standplätze ist begrenzt, der Kampf um das Geschäft groß. "Es gibt Schwestern-Firmen, Freund-Firmen, Feind-Firmen und die, die man ignoriert", erklärt die Fiaker-Sprecherin. "Man kann sich nie mit allen verstehen, aber das kennt man ja aus jeder Firma." Der typische Fiaker-Kutscher sei ohnehin ein Einzelkämpfer. "Das sind selten Menschen, die in Büros sitzen und in Teams arbeiten könnten."

Alle Inhalte anzeigen
Die 45-Jährige ist kein klassischer Fiaker. Sie hat ein Studium abgeschlossen und ist Unternehmerin. In der Freudenauer Chamotte Fabrik vermietet sie Pferde-Einstellplätze und Reitpferde – 40 Pferde nennt sie ihr eigen. "Ich bin eine Sammlerin, wenn die einmal bei mir sind, dann bleiben sie da." Die Pferdenärrin strahlt, während sie ihrem Gespann – Florian und Karl – das Fell krault. Die Freude am Job ist ihr ins Gesicht geschrieben. "99,9 Prozent der Leute hatten ein schönes Erlebnis – und ich hab’ einen Spaß dabei gehabt, meine Stadt herzuzeigen", sagt Michelfeit.

Am lustigsten findet sie Heiratsanträge in der Kutsche. "Die Männer organisieren das und wir Fiaker sind die Eingeweihten", erzählt die 45-Jährige. "Viele Frauen müssen dann laut lachen. Nein gesagt hat bis jetzt aber noch keine."

Weiterführender Link

Zur Person

Martina Michelfeit wurde 1970 in Wien geboren. Das Studium (Soziologie, Publizistik, Pädagogik) schloss sie 2000 ab. Seit 1987 ist Michelfeit Fiaker-Fahrerin, seit drei Jahren Fiaker-Sprecherin. Sie ist Inhaberin der Freudenauer Chamotte Fabrik im Prater.

Wiener Fiaker

In der Bundeshauptstadt gibt es rund 170 Fiakerkutschen, wovon pro Tag 58 fahren dürfen. Dafür werden halbjährlich 58 Platzkarten für die Standorte Albertina, Burgtheater, Stephansplatz, Heldenplatz und Petersplatz vergeben. Von den Kutschern sind inzwischen 40 bis 50 Prozent Frauen.