Eine Großstadt schläft eben nie
Von Doris Knecht
Neue Tempo-30-Diskussion: Der grüne Verkehrssprecher will das Tempolimit nachts auf alle Wiener Straßen ausdehnen, auch auf Verkehrsadern wie Gürtel, Wienzeile und Lände: zum Wohle der Anrainer und ihrer Nachtruhe.
Tempo 30 ist eine gute Idee: in Wohngegenden. Dort macht Tempo 30 Sinn, auch wenn sich bisher offenbar acht von zehn Autofahrern nicht daran halten. (Was einen ÖAMTC-Tempo-30-Skeptiker im ORF zur Aussage verleitete: "Je mehr eine 30er-Zone von Verkehrsteilnehmern als nicht notwendig empfunden wird, desto häufiger wird die Bestimmung übertreten." Quasi: Die Übertretung des Tempolimits ist nicht den Autofahrern anzulasten, sondern dem Tempolimit, das die Autofahrer zu widernatürlichem Schleichen zwingt.)
Aber Tempo 30 auf Verkehrsadern und Ausfallstraßen? Damit es stiller wird in Wien? Ist eine merkwürdige, ja: schlechte Idee. Eine lebendige Metropole braucht auch ein paar schnelle Straßen, am Tag und in der Nacht: Straßen, auf denen müde Menschen schnell nach Hause kommen, Eltern zu ihren Kindern, Verliebte zu ihren Geliebten.
Man kann eine Großstadt nicht ins Bett schicken, und genau das ist daran ja das Tolle: Dass die Stadt nie schläft. Dass Geplauder die nächtliche Stille zerreißt, Gelächter und manchmal Gegröle, Musik, die aus Fenstern dringt, Hundegebell und die Geräusche von Autos und Motorrädern.
Diese Geräusche gehören zum Stadtschlaf dazu, sie erzeugen erst das Stadt-Lebensgefühl: dass man nicht isoliert ist, sondern Teil eines lebendigen, summenden Organismus. Wer das nicht will oder nicht erträgt, soll besser am Land wohnen. Oder auf den stillen Innenhof hinaus.