Chronik/Wien

"Die Esti tat alles, um zu gefallen"

Die Geschworenen bekamen eine Nacht Zeit, das Bild abzuspeichern, das sie sich von der früheren Eissalon-Chefin Estibaliz Carranza gemacht hatten: Die zierliche Frau, die zwei Männer erschossen, zersägt, tiefgefroren und im Keller einbetoniert hatte, wirkt gefühlskalt.

Am Tag zwei im Wiener Mordprozess bekamen sie auf Nachfrage der Verteidiger mit Verspätung eine mögliche Erklärung: Carranza steht unter Drogen. Unter legalen, die ihr der Anstaltspsychiater wegen ihrer Angstzustände („Ich höre mein Herz schlagen“) verordnet hat. Der ist für über 1000 Häftlinge zuständig, hat – wie sich die Angeklagte beklagt – keine Zeit für Gespräche und verschreibt nur Medikamente.

Sie bekommt fünf verschiedene, drei Mal täglich. Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner – die Carranza eine seelisch-geistige Abartigkeit attestiert – dolmetscht für das Gericht, was sie bewirken: Ein Antidepressivum, eines zur Beruhigung, eines zur Steigerung des Antriebs, eines gegen Schizophrenie (aber dazu müsste die Dosierung noch höher sein) und eines, um Distanz zu bekommen. Trotzdem oder eben deswegen zittert der rechte Arm der 34-Jährigen, und sie wippt unkontrolliert mit dem Bein.

Geständnis

Freilich: Bei der Verhaftung in Udine, wohin sie nach Entdeckung der Leichen geflüchtet war, stand Carranza nicht unter Medikamenten. Da legte sie ohne „dispiacere“, ohne großes Bedauern, ein Geständnis ab, wie italienische Polizisten als Zeugen berichten. Sie habe die Opfer daheim in der Wohnung ermordet, fatto in casa (hausgemacht), wie der Italiener sagt. Ein Schuss, dann drei weitere, bis kein Blut mehr aus den Wunden kam und sie sicher sein konnte, dass der Mann tot ist. Sie sei „zufrieden und glücklich“ gewesen, dass die Geschichte ein Ende gefunden hat. Mitleid habe sie nur für die Familien der Toten geäußert, weil das „anständige Leute“ seien.

Ohne große Gefühle geht am Dienstag auch das Zusammentreffen mit dem „überlebenden“ Ehemann (wie ihn die Staatsanwältin nennt) der Angeklagten, dem Vater ihres in der Haft zur Welt gebrachten Sohnes, über die Bühne. Roland R., 47, will als Zeuge weder für noch gegen seine Frau aussagen, die zwei Schritte von ihm entfernt auf der Anklagebank sitzt. Aber es gibt nicht einmal Blickkontakt, keine versteckten Zeichen, gar nichts.

Schuld

In einem KURIER-Interview hatte er gesagt: „Esti und ich sind ein Paar, ich werde auf sie warten.“ Und zu den Taten: „Ich denke, sie sieht ihre Schuld noch nicht ganz ein.“ Ein ehemaliger Liebhaber (zwischen Opfer Nummer eins und Nummer zwei) beschreibt „die Esti“ als eine, „die alles getan hat, um einem zu gefallen. Sie war nicht das, was sie vorgegeben hat“, sagt der 45-Jährige. Für ihren erschossenen Lebensgefährten Manfred Hinterberger hatte sie sich sogar die Lippen aufspritzen und die Nase verkleinern lassen. Nur bei „mehr Holz vor der Hütte“ streikte sie.

Fortsetzung Mittwoch.

„Runter gehe ich nicht.“ Sandra B. steht an der Türschwelle zu jenem Keller, in dem Estibaliz Carranza zwei ihrer Männer fein säuberlich in einer Gefriertruhe entsorgt haben soll. „Gruselig“, sagt die Friseurin, „ist das schon“.

Das Grätzl rund um den Oswaldplatz in Wien-Meidling ist dank des Kriminalfalls berühmt – und das zum Leidwesen vieler Anrainer. Kaum ein Medium verzichtete auf ein Bild des Eisgeschäfts, der „Schleckeria“. Und wie gehen die Bewohner am prominenten Tatort damit um?

Unterschiedlich. „Die Frau hat mutmaßlich zwei Männer getötet. Punkt“, beschwichtigt ein anderer Friseur. Häufig lugen Personen von der angrenzenden Bushaltestelle in Richtung des Eissalons, der einen neuen Pächter und einen neuen Namen hat. Das Geschäft ist saisonbedingt geschlossen. „Ich hätte mir das Lokal mit dieser Vorgeschichte nicht genommen“, sagt eine Passantin, bevor sie in den Bus steigt.

Die Verdächtige, warnte der Staatsanwalt die Geschworenen, habe zwei Gesichter. Jenes der netten Nachbarin und jenes der kaltblütigen Mörderin. Als Nachbarin kannte sie in dem Eckhaus niemand sehr gut. „Ich weiß jetzt mehr über sie als zuvor“, sagt eine Bewohnerin. Kein Wunder: die Hochzeit im Gefängnis, die Geburt in U-Haft, ihre Aussagen – der Fall wurde medial zelebriert.

Auch Sandra B. verfolgt den Prozess in den Nachrichten. „Viele Kunden“, schränkt sie ein, „wissen gar nicht, dass sich das nebenan abgespielt hat.“ Den Geschäftsgang habe die Aufregung nicht beeinflusst. Die Laune mancher Mieter schon: „Jetzt fehlt nur mehr ein Buch über den Fall. Und bald haben wir endlich unsere Ruhe.“ N. Amara

Am Montag beginnt im Wiener Landesgericht wohl der Prozess des Jahres: Die heute 34-jährige Spanierin Estibaliz C. ist angeklagt, in den Jahren 2008 und 2010 ihren Mann bzw. ihren Lebensgefährten aus nächster Nähe mit einer Pistole erschossen, die Leichen zerstückelt, einbetoniert und in einem Kellerabteil unter ihrem Eissalon in Wien-Meidling versteckt zu haben. Der Fall flog im Juni des Vorjahres auf, die Angeklagte wurde nach ihrer Flucht in Italien verhaftet. Nachfolgend eine Chronologie der wichtigsten Eckdaten des spektakulären Kriminalfalles:

27. April 2008: Estibaliz C. tötet laut Anklage in ihrer Wohnung ihren geschiedenen Mann Holger H., während ihr dieser sitzend den Rücken zukehrt. Demnach feuert sie aus einer Pistole der Marke Beretta, Kaliber 22, aus nächster Nähe zweimal auf seinen Hinterkopf und einmal in seine Schläfe. Sie versucht laut Staatsanwaltschaft zunächst, die Leiche in ihrer Wohnung zu verbrennen, bricht dies wegen der starken Rauchentwicklung ab und kauft in den nächsten Tagen eine Kettensäge, zerteilt den Toten und friert ihn zunächst ein. Im Herbst 2008 betoniert sie die Leichenteile in einer Wanne ein und lagert diese in einem Kellerabteil unter ihrem Eissalon "Schleckeria" in der Oswaldgasse ein. Das Motiv dürfte darin gelegen sein, dass Holger H. nicht aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen wollte.

21./22. November 2010: Nach einem gemeinsamen Abend kommen Estibaliz C. und ihr Lebensgefährte Manfred H. nach Hause. Laut Anklage wartet die Beschuldigte, bis ihr Freund schläft, kleidet nach den Erfahrungen des ersten Mordes die Wände und den Boden mit einer Plastikfolie aus und tötet den Mann mit vier Schüssen aus kurzer Distanz in seinen Hinterkopf. Mit einer zuvor besorgten Kettensäge zerteilt sie die Leiche und betoniert sie ebenfalls in Wannen im Keller unter dem Eissalon ein. Für Manfred H. soll seine wiederholte Untreue das Todesurteil gewesen sein.

26. November 2010: Wegen wiederholter Nachfragen seiner Verwandten meldet die Angeklagte Manfred H. als abgängig.

6. Juni 2011
: In seinem Geschäftslokal, das sich ebenfalls im Haus des Eissalons "Schleckeria" befindet, baut ein Mieter um und muss im Keller neue Installationen vornehmen. Dazu bricht er das mit einem Vorhängeschloss gesicherte Kellerabteil mit der Nummer 6, das laut mehreren Hausbewohnern niemandem zugeordnet werden kann, auf und entdeckt eine Faustfeuerwaffe sowie die mit Beton gefüllten Mörtelwannen. Er verständigt die Polizei. Diese fördert in mehreren mit Beton gefüllten Maurertrögen, Blumentöpfen und drei Kühltruhen die Leichenteile, die von einer Sachverständigen als Holger H. und Manfred H. identifiziert werden.

7. Juni 2011
: Die Angeklagte hört in ihrem Eissalon zufällig, wie der Entdecker der Leichen gegenüber einer ihrer Mitarbeiterinnen davon spricht, er hätte den "Manfred" gefunden. Sie flüchtet, lässt sich von einem Freund ihren Reisepass aus der Wohnung holen und ein Wertkartenhandy besorgen, hebt von ihrem Sparbuch 10.000 Euro ab und leert ihr Bankschließfach. Sie fährt mit einem Taxi zum Flughafen, bucht ein Ticket nach Paris, flüchtet aber wegen des späten Flugtermins aus Angst, festgenommen zu werden, wieder vom Airport nach Wien und steigt am Busbahnhof in ein weiteres Taxi. Die Ermittler haben tatsächlich am Gate schon auf sie gewartet. Der Lenker bringt sie nach Udine, wo er unter seinem Namen ein Hotelzimmer für sie mietet.

8. Juni 2011: Estibaliz C. verlässt das Hotel und kommt wieder den Ermittlern zuvor. Diese haben bereits mit dem Taxilenker gesprochen und die italienischen Kollegen ersucht, sie in dem Hotel festzunehmen. Am Bahnhof von Udine lernt sie einen Straßenkünstler kennen und bringt ihn dazu, sie bei ihm aufzunehmen. Ihm fällt ihr Interesse an dem Kellerleichen-Fall im Internet auf, außerdem äußert sie Selbstmordgedanken. Er verständigt schließlich die Polizei.

9. Juni 2011: Die Polizei identifiziert einen der Toten als den Lebensgefährten von Estibaliz C.

10. Juni 2011: Italienische Polizisten verhaften die Beschuldigte in Udine. Sie wird in ein Krankenhaus eingeliefert, weil sie im zweiten Monat schwanger ist. Vater ist ihr neuer Lebensgefährte.

24. Juni 2011
: Die Verdächtige wird von den italienischen Behörden an die österreichische Justiz ausgeliefert. In Udine hat sie zuvor den italienischen Behörden die Taten im Prinzip gestanden, bei den Einvernahmen in Wien zeigt sie sich zunächst relativ verschwiegen.

11. Jänner 2012
: Estibaliz C. wird in einem Wiener Krankenhaus Mutter eines gesunden Buben. Unmittelbar nach der Geburt wird das Baby seinem Vater übergeben. Letztlich wird das Kind nach Barcelona zu den Eltern der Angeklagten gebracht.

29. März 2012
: Die Angeklagte heiratet den Kindesvater: In der Vernehmungszone der Justizanstalt Wien-Josefstadt geben Estibaliz C. und ihr Lebensgefährte, der 47-jährige Roland R., einander das Ja-Wort.

4. Juli 2012: Details des psychiatrischen Gutachtens zu der Angeklagten werden bekannt. Darin beschreibt die Gutachterin die Frau als "Prinzessin", die "sich erhofft, von einem Mann 'gerettet' zu werden". Sie habe sich ihren jeweiligen Partnern völlig untergeordnet, sei dabei aber nicht glücklich geworden. Da Estibaliz C. nicht imstande sei, von ihr nicht mehr erwünschte Beziehungen zu beenden, "bleiben im Wesentlichen nur mehr deviante Auswege", hält die Gerichtspsychiaterin fest. Selbstmord komme für Estibaliz C. nicht infrage, weshalb der Ausweg in der "Elimination desjenigen Hindernisses" bestünde, "das einer neuen und erhoffterweise vorteilhafteren Beziehung im Weg steht".

5. September 2012: Die Staatsanwaltschaft Wien erhebt Anklage gegen Estibaliz C. wegen Mordes an Holger H. und Manfred H. und beantragt die Einweisung der Angeklagten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Der Prozessbeginn wird in weiterer Folge für den 19. November festgesetzt. Vier Tage später soll im Großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts das Urteil folgen.