Chronik/Wien

5,4 Millionen statt 6,5 Jahre Haft

Die Wiener Krankenschwester Natalie Morgenbesser ist sehr glücklich. "Wir haben lange gekämpft, acht Gutachten eingeholt, und alle haben bestätigt, dass die Unterschriften echt sind."

Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um sechseinhalb Jahre im Gefängnis oder um ein mit 5,4 Millionen Euro versüßtes Leben in Freiheit.

Die 37-Jährige wurde im Februar 2010 rechtskräftig als Erbschleicherin verurteilt. Sie hatte die 80-jährige krebskranke Hofratswitwe Erika B. in deren Haus in der Kärntner Straße bis zum Tod der vermögenden Frau gepflegt. Diese hatte sie zum Dank adoptiert und als Universalerbin eingesetzt.

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Die in der Schweiz lebende Nichte sowie der Wiener Anwalt von Erika B. und dessen zwei Kinder, die sich Hoffnungen gemacht hatten, zeigten Natalie Morgenbesser als Fälscherin an. Ein Kriminaltechniker attestierte als Gerichtsgutachter, dass die Unterschriften der Ver­storbenen nicht echt seien.

Mithilfe ihrer Anwälte Nuray Tutus-Kirdere und Jürgen Stephan Mertens (auch der einstige "Lucona"-Richter und pensionierte Staatsanwalt Hans-Christian Leiningen-Westerburg machte sich stark) kämpfte Natalie Morgenbesser um eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Die Staatsanwältin stimmte einer Aufschiebung des Strafantritts zu – und nun beschloss das Gericht, den Fall neu aufzurollen. Neue Beweise "erscheinen geeignet, die Freisprechung der Verurteilten zu begründen" (aus dem Beschluss). Sollte die Anklage nicht zurückgezogen werden, hat die Krankenschwester in einem neuen Prozess beste Chancen, freizugehen.

Denn der Gerichtssachverständige hatte sein Gutachten nur aufgrund von Kopien – "Wischiwaschiwische", wie Natalie Morgenbesser sagt – erstellt. Ein zweiter vom Gericht bestellter Sachverständiger zeigte darin nachträglich erhebliche Mängel auf.

Natalie Morgenbesser hatte nach ihrer Verurteilung sämtliche Geschäfte aufgesucht, in denen sie mit der Witwe B. zu deren Lebzeiten einkaufen war. Etwa die Schwäbische Jungfrau am Graben. Dort hatte die alte Dame mit Kreditkarte eingekauft, ihre Unterschriften dienten nun zum Vergleich.

Der Krankenschwester winkt nun ein Millionenvermögen. "Ich laufe nicht dem Geld nach", sagt sie zum KURIER, "ich wollte meine Unschuld beweisen."

"Keiner hat geglaubt, dass sie so reich ist"

Natalie Morgenbesser hat ihre Ersparnisse in die Finanzierung von Gutachten gesteckt, das zahlt sich nun aus.

KURIER: Wenn Sie freige­sprochen werden, dann bekommen Sie 5,4 Millionen. Ein schöner Ausgleich?
Natalie Morgenbesser:
Der Anwalt von Erika (die Verstorbene, Anm.) hat diesen Wert genannt. Es hat ja keiner geglaubt, dass sie so reich ist. Sie hatte einfache Ikea-Möbel. Aber ich laufe nicht dem Geld nach, ich wollte meine Unschuld beweisen. Ich lebe nicht, ich existiere nur.

Wieso konnten Sie überhaupt verurteilt werden?
Weil das Gericht die Kopien, diese Wischiwaschiwische, anerkannt hat. Der Gutachter hatte ja keine Originale zum Vergleich der Unterschriften. Wir sind selbst herumgelaufen und haben sie gesammelt.