Chronik/Welt

Lebenslang für drei Roma-Mörder

Der Plan war perfid: Mit Molotow-Cocktails setzten drei rechtsradikale Ungarn Häuser in Brand, in denen Roma-Familien lebten. Dann machten sie mit Gewehren Jagd auf die Flüchtenden. Im Kugelhagel starben vier Menschen, darunter auch ein Vater mit seinem vierjährigen Sohn; drei Menschen wurden schwer verletzt. Monate später töteten die Rechtsradikalen einen Mann mit einem gezielten Schuss vor dessen Hof. Die gleichen Mörder, davon geht die Justiz aus, schlichen sich in ein Haus und erschossen eine Frau, ihre 13-jährige Tochter erlitt lebensgefährliche Verletzungen.

Vier Jahre nach dieser rassistisch motivierten Mordserie verurteilte ein Gericht in Budapest am Dienstag drei Männer – zwei waren beim nun verbotenen paramilitärischen Arms der rechtsradikalen Jobbik-Partei – zu lebenslanger Haft. Ein Komplize, der als Fahrer diente, bekam 13 Jahre. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Verurteilten gehen in Berufung. Im Saal saßen nicht nur viele Roma, sondern auch Rechtsradikale, die ihre Gesinnung T-Shirts zur Schau stellten.

Offene Fragen

Das Urteil „bestärkt uns im Glauben, dass kein rassistischer Verbrecher in Ungarn vor dem Gesetz fliehen kann“, sagte Minister Balog, der auch für Roma-Fragen zuständig ist. Er hoffe, dass das Urteil in den nächsten Instanzen bestätigt werde. Balog räumte zugleich ein, es sei nicht gelungen, die ganze Wahrheit über die Mordserie aufzudecken. Die Staatsanwaltschaft geht von einem weiteren Täter aus. Ungarns Medien spekulierten, dass dieser vom Geheimdienst gedeckt werde. Es heißt, dass ein Täter beschattet worden war – bis einen Monat vor Beginn der Mordserie an Roma.

„Diese Mordserie ist in dieser Form beispiellos. Aber die Brandanschläge in Tschechien gegen Roma kommen oft gar nicht in die Medien“, sagt Antiziganismus-Forscher Markus End gegenüber dem KURIER. „Ich glaube nicht, dass der Roma-Hass in Ungarn in der Bevölkerung so viel größer ist als etwa in Tschechien oder Rumänien. Aber dass auf Ungarn so herumgeritten wird, ist ein mediales Phänomen“, glaubt End. Wobei sich die rechtskonservative Regierung auch zu wenig von Roma-Hetze distanziere.

Antiziganismus

In die gleiche Kerbe schlägt auch Andreas Koob, Co-Autor des Ungarn-Buchs „Mit Pfeil, Kreuz und Krone. „Der Mauerbau in Tschechien, um Roma auszugrenzen, ist auch sehr drastisch. Deshalb bin ich mit Vergleichen auch sehr vorsichtig.“ Er sieht in Ungarn keinen abrupten Rechtsruck, sondern einen tief greifenden gesellschaftlichen Wandel, der sich schon länger beobachten lässt. „Antiziganismus gab es schon immer – und nicht nur in Ungarn. Aber dort wird damit viel Politik gemacht – speziell durch die rechtsradikale Jobbik. Sie hat die Mehrheitsmeinung der Ungarn gegen Roma verstärkt. Und die regierende Fidesz-Partei von Premier Viktor Orban positioniert sich nicht dagegen“, sagt der Deutsche, der in Ungarn gelebt hat. Deshalb würden Roma „schikaniert, drangsaliert und von Grundbedürfnissen abgeschnitten“. Vor allem Norden und Osten Ungarns kommt es immer wieder zu heftigen Konflikten, dort hat Jobbik ihre meisten Wähler. Was macht ein Fidesz-Bürgermeister in so einem Dorf? Er kappt den Roma die Wasserversorgung – bei 37 Grad im Schatten. So geschehen an diesem Wochenende.

Buchtipp: Holger Marcks, Andreas Koob, Magdalena Marsovszky: Mit Pfeil, Kreuz und Krone. Nationalismus und autoritäre Krisenbewältigung in Ungarn. Unrast Verlag 2013, 208 Seiten, 14 Euro.

Feindliches Klima gegen Roma

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Chronologie

  • November 2008: Im ostungarischen Dorf Nagycsecs setzen die Täter in der Nacht auf 3. November ein von Roma bewohntes Haus in Brand und schießen auf die vor dem Feuer Fliehenden. Ein 43 Jahre alter Mann und eine 40-jährige Frau werden tödlich getroffen, ein weiterer Mann wird verletzt.
  • Februar 2009: Das Haus einer Roma-Familie in Tatarszentgyörgy bei Budapest wird in Brand gesetzt. Die Täter feuern mit Jagdgewehren auf die Fliehenden. Ein 27-jähriger Mann und dessen fünf Jahre alter Sohn werden getötet.
  • April 2009: In der Nacht auf 22. April wird ein 54-jähriger Roma mit einem gezielten Schuss im Hof seines Hauses in Tiszalök im Nordosten des Landes getötet. Er wollte gerade zu seiner Nachtschicht aufbrechen.
  • August 2009: Im nordostungarischen Dorf Kisleta schießen die Täter in der Nacht auf 3. August auf eine schlafende 45-Jährige und deren 13 Jahre alte Tochter. Die Mutter wird getötet, das Mädchen lebensgefährlich verletzt.

Wochenende für Wochenende versammeln sich in diesem Sommer Tausende Tschechen in verschiedenen Städten, um gegen die Roma-Bevölkerung zu demonstrieren. Harter Kern der Hass-Kundgebungen sind meist einige hundert Neonazis, die dafür durchs Land tingeln – und das mit eigens für sie bereitgestellten Waggons der tschechischen Eisenbahn, wie die deutsche Tageszeitung Die Welt vor einigen Tagen anprangerte. Man sei von der Polizei vor gewalttätigen Neonazis gewarnt worden, verteidigte ein Sprecher der Eisenbahnen das Vorgehen. Man würde bei gewaltbereiten Fußballfans ähnlich vorgehen.

Rund um die Neonazis aber versammeln sich immer mehr biedere tschechische Bürger, die die Gelegenheit nützen, um ihrer Wut über die unerwünschten Landsleute freien Lauf zu lassen. Die rassistischen Hetzparolen der Neonazis werden auch dann noch gebrüllt, wenn diese längst weg oder festgenommen sind. Anti-Roma-Hetze, so das Urteil der Welt, sei in Tschechien inzwischen „Volkssport“.

Ausschreitungen und offene Gewalt in Roma-Vierteln sind bisher ausgeblieben. Doch der rassistische Hass auf die Roma wächst, wie die Kundgebung im nordmährischen Städtchen Vitkov vom vergangenen Wochenende zeigt. Ein Angriff auf ein Roma-Straßenfest konnte nur mit einem Polizei-Großaufgebot verhindert werden.