Chronik/Welt

Tante Havva siegt gegen die Bagger

Rote Jacke, Kopftuch, langer Stock: Die 63-jährige Havva Bekar aus der türkischen Provinz Rize an der Schwarzmeerküste sieht nicht aus wie eine Revolutionärin, die ein staatliches Riesenprojekt zu Fall bringen kann. Und doch ist Tante Havva, wie sie überall genannt wird, mit ihrem Widerstand gegen die Staatsgewalt zum Symbol der türkischen Umweltbewegung geworden.

Tante Havva stellt sich zusammen mit einer Gruppe namens "Initiative Sturm" dem Vorhaben entgegen, auf den bewaldeten Hängen entlang der Schwarzmeerküste eine 2600 Kilometer Überlandstraße zu bauen. Die von den Behörden "Grüner Weg" getaufte Asphaltpiste soll laut der Regierung die an vielen Stellen sehr zerklüftete und bergige Gegend besser für Wirtschaft und Tourismus erschließen.

Doch vor Ort regt sich Widerstand gegen die Bagger. Die Schwarzmeer-Region ist für ihre alm-ähnlichen Hochweiden und ihre unberührten Wälder berühmt. Diese Einzigartigkeit sei durch die neue Straße bedroht, befürchten Kritiker. Der "Initiative Sturm" geht es vor allem um einen Nationalpark im so genannten Sturmtal.

Zunächst reagierten die Behörden mit der seit den Istanbuler Gezi-Unruhen bekannten Arroganz. "Zwei, drei Plünderer" würden das Projekt nicht stoppen können. Tante Havvas großer Moment kam am vergangenen Wochenende, als sie zusammen mit anderen Umweltschützern auf einer Almwiese in der Nähe ihres Heimatortes Camlihemsin die für Erdarbeiten angerückten Bagger stoppte. Im Nebel der Hochweide setzte sich Tante Havva auf einen Stein, weigerte sich, den Baumaschinen Platz zu machen und fuchtelte wütend mit ihrem langen Gehstock in der Luft herum, als Mitglieder eines Trupps der Gendarmerie sich ihr nähern wollten. "Seid ihr verrückt geworden?" keifte sie die Soldaten an. An Tante Havva und ihren langen Stock trauten sie sich nicht heran.

Als ein Gendarm von Gerichten und staatlichen Stellen sprach, fuhr sie ihn an: "Was ist schon der Staat? Es gibt keinen Staat, wir sind der Staat. Wer ist schon der Gouverneur oder der Landrat? Ich bin das Volk." Und das Volk wolle die neue Straße eben nicht. Die Umweltschützer klatschten begeistert, die Soldaten zogen ab. Das Video wurde ein Hit im Internet.

Kurz darauf konnte sich Tante Havva noch mehr freuen. Das Verwaltungsgericht in Rize stoppte auf Antrag der Umweltschützer das Straßenbauprojekt in einer einstweiligen Verfügung.