Chronik/Welt

Smog nimmt einer halben Milliarde Chinesen den Atem

Die Menschen tragen Mundschutz und können nur wenige Meter weit sehen. Geradezu spukige Straßenszenen mit dreckigem Nebel bestimmen das Bild derzeit in weiten Teilen Chinas - unter anderem in Peking. Seit über einem Monat hängt über der chinesischen Hauptstadt fast ununterbrochen eine verheerende Glocke aus giftiger Luft.

Bedrohlich verdunkelten auch am Donnerstag Dunstwolken die chinesische Hauptstadt. Graue Schneeflocken, die vom Himmel rieselten, erinnerten eher an Asche. Wer sich vor die Tür wagte, trug zumeist eine Atemschutzmaske.

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Nicht nur die 22 Millionen Hauptstädter, sondern geschätzt eine halbe Milliarde Menschen in ganz Nordchina müssen den Smog ertragen. Pekinger erinnert die ungewöhnliche lange Smog-Welle an den Winter vor drei Jahren. Auch damals hielt sich über Wochen dreckige Luft über der Stadt und die Smog-Werte erreichten neue Rekordwerte.
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Bemühungen "praktisch zum Stillstand" gekommen

Für die Regierung war die sogenannte Airpokalypse damals eine Zäsur. Sie schaltete auf Angriff und sagte der Luftverschmutzung den Kampf an. Doch nun zeigt sich: Es reicht noch nicht. Greenpeace lobte die chinesischen Behörden zwar zunächst für ständig bessere Luftwerte. Doch die Bemühungen seien "praktisch zum Stillstand" gekommen.

Die Regierung unternehme nicht genug, um neue Gesetze auch durchzusetzen, monieren die Umweltschützer. Staatliche Medien berichten, dass in diesen Tagen trotz Produktionsverboten Hunderte Fabriken im Industriegürtel rund um die Hauptstadt einfach weiterarbeiten.

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Die Stimmung in Chinas Industrie ist im Dezember laut Umfragen auf den höchsten Stand seit drei Jahren gestiegen. Die ins Stocken geratene Wirtschaft läuft zumindest vorläufig wieder, und diese Butter wollen sich die Unternehmen nicht vom Brot nehmen lassen.
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"Mein Cousin arbeitet in einem Stahlwerk. Wenn er nichts mehr verdient, kann er sich auch nicht über saubere Luft freuen", sagt Li Yang, der aus der Nachbarprovinz Hebei nach Peking gezogen ist.

Zu viele Fabrikarbeiter würden Job verlieren

Viele Pekinger verstehen das Dilemma: Der Smog kann nicht einfach von heute auf morgen für immer ausgeschaltet werden, weil dann zu viele Fabrikarbeiter ihre Jobs verlieren würden.

Trotzdem werden die Menschen ungeduldig. "Das Problem geht nicht einfach weg. Die Regierung muss mehr tun, um unsere Gesundheit zu schützen", sagt Xiao Ning, die in einer Pekinger Werbeagentur arbeitet. Ihr Chef weigert sich, einen Luftreiniger zu kaufen, mit dem sie und ihre Kollegen zumindest drinnen saubere Luft atmen könnten. "Eigentlich müsste das als Arbeitsschutz vorgeschrieben werden. Jedes Büro braucht solche Geräte."

Kein Geld für Luftreiniger

Auch Schulen und Kindergärten in Peking klagen, dass die Regierung kein Geld für Luftreiniger bereitstellt. "Wir schaffen gerade Geräte an, die von Eltern gespendet werden", sagt eine Mitarbeiterin der Pekinger Tsinghua High-School, die vor allem von Kindern aus wohlhabenden Familien besucht wird.

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Einen ähnlichen Plan hatte auch ein Student der Pekinger Communication University. Er wollte für sich und seine Zimmer-Mitbewohner einen der Luftreiniger kaufen, die ab umgerechnet etwa 100 Euro zu haben sind. Die Universität lehnte ab. Nur mit einem Attest vom Arzt dürfe er das Gerät in Betrieb nehmen. In sozialen Netzwerken sorgte der Fall für Wirbel. Ein User des twitter-ähnlichen Dienstes Weibo spottete: "Das ist Peking: Mach einen Bachelor-Abschluss und du kriegst Lungenkrebs gleich gratis dazu."
Im Pekinger Chaoyang-Krankenhaus herrscht unterdessen Hochbetrieb. "Wir haben viel mehr Patienten mit Atemwegserkrankungen als sonst", sagt eine Schwester am Empfang. Kinder kämen mit heftigem Husten, ältere Menschen würden kaum noch Luft kriegen. "Wenn sich der Smog nicht bald verzieht, wird es noch mehr Kranke geben."
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