Chronik/Welt

Kapitän fühlt sich verfolgt wie Bin Laden

Ein Paar genießt an einem Sandstrand bei Neapel die milde Sonne und macht es sich in seinen Liegestühlen bequem. Das Bild wäre nicht ungewöhnlich. Doch bei dem Mann mit den gegelten, schwarzen Locken und dunkler Sonnenbrille in Badehose handelt es ich um Francesco Schettino. Mit seinem waghalsigen Manöver vor der toskanischen Insel Giglio verursachte er am 13. Jänner 2012 das bisher größte Unglück in der modernen Kreuzschifffahrt. Dabei starben 30 Menschen. Zwei Personen, deren Leichen noch nicht aus dem Wrack geborgen werden konnten, gelten als vermisst. An Bord befanden sich auch 74 Österreicher.

Der 52-jährige Unglücks-Kapitän Schettino ist seit Sommer auf freiem Fuß. Als einzige Einschränkung darf er seinen Heimatort in Süditalien nicht verlassen. Sein Ansuchen auf komplette Freiheit wurde kurz vor Weihnachten abgelehnt.

Der Unmut über den „Katastrophen-Kapitän“, „Kapitän-Feigling“ und „Lügen-Kapitän“ – wie Schettino in italienischen Medien genannt wird – ist groß. Auf einer eigenen Facebook-Seite mit 12.000 Followern wird empört über Schettinos Ausflüge berichtet. Dabei ist der 52-jährige Kapitän in Ferienlaune zu sehen, wie er ein kleines Motorboot vor der Küste Sorrents steuert. Oder wie er auf einem Motorroller mit seiner Frau Fabiola Russo, die ihn vehement gegen alle Vorwürfe verteidigt, davonbraust.

In seinem Heimatort Meta di Sorrento, in der Nähe von Neapel, kennt fast jeder den ehemaligen „Comandante“. Kurz nach dem Unglück nahmen die Bewohner Schettino in Schutz und bezeichneten ihn als schüchternen, ehrgeizigen Dorfjungen.

Francesco Schettino wurde zur Symbolfigur eines angeschlagenen Italien. Der havarierte Riesendampfer stand sinnbildlich für ein wirtschaftlich außer Kontrolle geratenes Land mit einer unfähigen und korrupten Führungsschicht. Dazu passte auch, dass sich der Kapitän als einer der Ersten in Sicherheit brachte und seine Passagiere und Besatzung im Stich ließ.

Herzlose Auftritte

Schettinos Auftritte zum Prozessauftakt in der toskanischen Stadt Grosseto im Herbst empfanden Beobachter als herzlos und arrogant. Er zeigte keine Reue, versuchte die Schuld auf andere abzuwälzen und stellte sich selbst als Opfer des Systems dar. Dass er nun gegen seine Entlassung vor Gericht zieht, schreckte seine letzten Verbündeten ab. Schettino klagt die Kreuzfahrtgesellschaft auf Wiedereinstellung.

Angeblich schreibt der Unglückskapitän an einem Buch. Er fühle sich verleumdet und wie Bin Laden verfolgt. Beweise, die ihn entlasten, seien nicht berücksichtigt worden. Seine Telefongespräche mit den Hafenbehörden habe man nur aus- schnittsweise veröffentlicht.

Die Bergungsarbeiten der Costa Concordia kommen nur schleppend voran. Der Koloss von der Dimension eines Hochhauses, dessen Gewicht hundert Boeing- 747-Maschinen entspricht, wird frühestens im Herbst gehoben.

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