Polinnen fordern Abtreibungsrecht
"Noch ist die Polin nicht verloren" – unter dieser Umdeutung der Nationalhymne protestierten am Montag Tausende Frauen lautstark vor dem Sitz der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) in Warschau. Angesichts eines drohenden totalen Abtreibungsverbots rief ein breites Bündnis verschiedener Organisationen die Polinnen des Landes dazu auf, am Montag die Arbeit niederzulegen. In mehreren größeren Städten waren die Ämter nur schwach besetzt, ein Teil der Restaurants und Geschäfte waren geschlossen.
Im Sejm wird derzeit ein Gesetzesentwurf diskutiert, der ein totales Abtreibungsverbot vorsieht. Nach polnischer Rechtssprechung kann bisher eine Abtreibung nur vorgenommen werden, wenn bei einer Geburt die Gesundheit der Mutter stark beeinträchtigt wird, mit einer schweren Behinderung des Kindes zu rechnen ist oder nach einer Vergewaltigung.
Die autoritär regierende "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) ist somit in der Zwickmühle. Premierministerin Beata Szydlo tendiert dazu, das Verbot zu unterstützen, Vizepremier und Wirtschaftsminister Mateusz Morawiecki will eine Beibehaltung des Gesetzes, Parteistratege Jaroslaw Kaczynski schweigt noch. Denn ein Totalverbot würde die Spannungen in der Gesellschaft weiter verschärfen – und Frauen erneut Engelmacherinnen zutreiben. Die polnische Kirche rief ungeachtet dessen am Montag zu Gebeten auf. "Die Kinder werden dort getötet, wo ihr sicherster Platz sein soll – unter dem Herz der Mutter", sagte Erzbischof Henryk Hoser.
Island als Vorbild
Vorbild der Polinnen war Island: Im Oktober 1975 streikten 90 Prozent der Isländerinnen für mehr Gleichberechtigung. Die damalige Initiatorin, Ex-Präsidentin Vigdis Finnbogadottir (86), ermutigte auch die Polinnen. Doch Polen ist nicht Island. Die Protestierenden eint vor allem die Ablehnung des totalen Verbots, ein Teil der Frauen ist für den Erhalt des Status Quo, der 1993 mühsam ausgehandelt wurde. "Rettet die Frauen" der Links-Politikerin Barbara Nowacka will hingegen den Abbruch bis zur 12. Woche vollkommen legalisieren.
Polens Außenminister Waszczykowski versuchte, den Protest kleinzureden: "Lasst sie ihren Spaß haben." Die konservative Zeitung Rzeczpospolita veröffentlichte Umfragen, wonach 42 Prozent der Polen für die Beibehaltung der bisherigen Gesetze sind, 25 Prozent für eine Liberalisierung und 14 Prozent für eine Verschärfung.