Mein Freund, der Papst
Pater Erhard Kunz ist ein ruhiger, besonnener Mann, der seine Worte wohl überlegt. Aber wenn sich der betagte Jesuit an seinen Mitbruder Jorge Mario Bergoglio erinnert, dann wird seine Erzählung lebendig. „Wir haben Mitte der 70er-Jahre drei Monate miteinander in Rom verbracht. Anlass war die Generalkongregation unseres Ordens. Wir waren ungefähr 150 Jesuiten, aber Bergoglio, der jetzige Papst, ist mir von den vielen ganz deutlich in Erinnerung.“
Unkompliziert
Warum? „Er war so offen, so unkompliziert, so mitbrüderlich. Keiner, der sich in den Mittelpunkt rückt. Ein sehr frommer Mann. Der Argentinier – er war mit 37 Jahren der jüngste unter uns – hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen“, schwärmt der Pater, der vergangenen Dienstag, einen Tag vor Bergoglios Wahl zum Papst, seinen 79. Geburtstag gefeiert hat.
Ob sie miteinander auch getanzt, gesungen oder gar gekocht hätten – Hobbys, die Bergoglio nachgesagt werden? „Das ist mir nicht erinnerlich. Das war auch nicht so wichtig, die spirituelle Dimension war es, die uns antrieb und die von Bedeutung war und ist.“ Und Pater Kunz führt aus: „Zu unserer Spiritualität gehört, Jesus nachzufolgen, Gott zu ehren und zu dienen.“ Dazu zählten Kranken- und Gefangenenbesuche ebenso wie der Einsatz für die Jugend, die Schul- und Wertebildung.
Mann der Gerechtigkeit
Drei Fragen hätten die beiden Männer damals vor allen anderen angetrieben: „Wie wir den Glauben verkünden können, unser Einsatz für die Gerechtigkeit und die Option für die Armen“, sagt der emeritierte Professor für Dogmatik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt. „Es war damals schon grundgelegt, dass der jetzige Papst ein Mann für Gerechtigkeit und Arme ist.“
Als Pater Kunz Mittwochabend gehört hat, dass sein Mitbruder Bergoglio der neue Papst ist, „war ich am Anfang erschrocken“, erzählt er und erklärt: „Wir sind Diener Gottes. Wir Jesuiten sollen kirchliche Würdenämter nicht annehmen. Das gilt für das Bischofsamt, das wir als Einzelne ablehnen müssen, es muss uns vom Papst ausdrücklich angeordnet werden. Die Frage ist, wer uns das Papstamt anordnet.“ Aber dann lacht der Jesuit: „Die Kardinäle haben sich die Wahl sicher gut überlegt, eine Zweidrittelmehrheit ist ja deutlich.“
Von Demut tief bewegt
Als Bergoglio dann als neu gewählter Papst Franziskus auf dem Balkon des Petersdoms trat, sprach er von Liebe, Brüderlichkeit, gegenseitigem Vertrauen, dem Gebet und dem Miteinander für die ganze Welt. „Und was er dann gesagt und getan hat, hat mich tief bewegt“, erzählt Pater Kunz.
Wie der Papst, bevor er seinen Segen erteilt hat, die Menschen bat, für ihn zu beten, damit der Herr ihn segne: das Gebet des Volkes, das um den Segen für seinen Bischof bittet. „Und wie er dann demütig den Kopf senkte und alle in Stille gebetet haben – das war der Moment, wo ich mich doch freuen konnte: Der Papst verkündet nicht von oben etwas, sondern ist auf Hilfe angewiesen. Das macht ihn aus – diese Demut. Zu wissen und zu zeigen, dass er angewiesen ist auf das Gebet der anderen – und auf Gott zu hören natürlich“, ist der Jesuit beeindruckt. „Das war eine Eingabe, die ihn charakterisiert. Ich hoffe, dass es ihm aus dieser Haltung heraus gegeben wird, Leute zusammenzuführen, mit denen er die Fragen der Kirche angehen kann.“
Pfarrerinitiative
Welche Fragen? Ihm persönlich, sagt Pater Kunz, wäre wichtig, dass den Ortskirchen eine gewisse Eigenständigkeit zugestanden wird und nicht zentral bestimmt wird. Weiters zählt er Armut und die Ökumene mit der evangelischen Kirche als wichtige Punkte auf.
„Aber es gibt noch viele andere Fragen – gerade in Österreich und Deutschland werden ja ständig Fragen gestellt“, schmunzelt er in Anspielung auf die Pfarrerinitiative rund um Helmut Schüller. Ob der Papst auf die Anliegen der Pfarrer, die zum Ungehorsam aufgerufen haben, eingehen wird? „Ich weiß nicht, ob er davon schon einmal gehört hat. Aber ich hoffe, dass er sich das anhört und sich darauf einlässt.“
Stundenlang harrten Journalisten am Samstag vormittag in einer hunderte Meter langen Schlange aus, um in den Vatikanstaat eingelassen zu werden. Der Andrang zur ersten Audienz von Papst Franziskus mit Medienvertretern war enorm. Über 5500 Medienvertreter aus aller Welt hatten über die Papstwahl berichtet und wollten auch nun beim ersten direkten Zusammentreffen mit dem neuen Oberhaupt der katholischen Kirche dabei sein.
In der vatikanischen Audienzhalle Paolo VI. hatte um punkt 11 Uhr das Warten ein Ende und Papst Franziskus stand plötzlich auf der Bühne. Tosender Applaus und Jubelrufe begleiteten seinen Auftritt. „Ich bin froh, Euch heute zu treffen und danke Euch für Eure Arbeit“, sagte Jorge Mario Bergoglio. „In den vergangenen Tagen habt ihr viel gearbeitet, stimmt´s“, lockerte der 76-jährige Argentinier mit einem Scherz die Stimmung auf.
Franziskus wünscht sich, wie er sagte, eine „arme Kirche und eine Kirche für die Armen“. Das Publikum drückte umgehend seine Zustimmung mit einem neuerlichen tosenden Applaus aus.
Kirchliche Events seien nicht komplizierter als politische Ereignisse, aber sie würden, so der Papst, keiner weltlichen Logik folgen und das sei genau ihre Faszination. Medien sollten dabei stets auch die drei Kriterien „Wahrheit, Güte und Schönheit“ im Auge behalten, sagte Franziskus. In dieser Hinsicht seien Medien und Kirche eng verbunden.
Franz von Assisi
Gespannt hörte das Publikum zu, als er in freundschaftlicher Manier eine persönliche Geschichte aus dem Konklave erzählte. Als es für ihn immer ernster geworden sei und er die Zwei-Drittelmehrheit erreichte, kam der brasilianische Kardinal Hummes auf ihn zu und umarmte ihn. Dabei hätte ihm sein „enger Freund“ gesagt: „Vergiss nicht auf die Armen“.
In diesem Moment habe er noch während die Auszählung der Wahlstimmen weiterging, so erzählte der Papst, an Franz von Assisi gedacht, einen Menschen des Friedens, der Armut, der die Schöpfung geschützt habe. Am Schluss segnete der erste lateinamerikanische Papst in zweitausend Jahren Kirchengeschichte alle Anwesenden und ihre Familien.
Nur eine ausgewählte Schar an „Vaticanisti“, Vatikanjournalisten, wurde vom Pontifex persönlich begrüßt. Darunter auch Giovanna Chirri von der Nachrichtenagentur Ansa, die als erste die Welt über den Rücktritt von Benedikt XVI. informiert hatte. Alle wurden von Franziskus wie alte Bekannte mit einer herzlichen Umarmung empfangen.
Eine Frau brachte ihm als kleine Aufmerksamkeit sein Lieblingsgetränk, einen Mate-Tee, mit. Ein sehbehinderter Radiomann wurde von seinem Hund begleitet. Der semmelfarbige Labrador genoss nicht nur sofort die Sympathie des Publikums, sondern auch jenes des Papstes, der ihn streichelte. Und mit der Geste seinem Namensheiligen Franz von Assisi, der ein großer Tierfreund war, alle Ehre machte.
Heute, Sonntag, wird das neue Kirchenoberhaupt sein erstes Angelus-Gebet am Petersplatz sprechen. Dazu werden Zehntausende Menschen erwartet. Die feierliche Amtseinführung ist für Dienstag vorgesehen. Insgesamt werden Delegationen aus rund 100 Ländern und Hunderttausende Pilger erwartet. Aus Österreich wollen Präsident Heinz Fischer, Kanzler Werner Faymann und Außenminister Michael Spindelegger anreisen.
Armer Mann“, dachte Maria Elena Bergoglio, als der neue Papst auf den Balkon trat. Der einzigen noch lebenden Schwester von Jorge Mario Bergoglio schossen die Tränen in die Augen. Die 65-Jährige war gerührt von den „Lang lebe der Papst!“-Rufen und hätte ihren großen Bruder gerne umarmt.
Die beiden wuchsen mit ihren drei Geschwistern in Buenos Aires im Stadtviertel Flores auf. Der heutige Papst erinnerte sich in einem Interview mit dem Magazin El Jesuita vor drei Jahren an seine Kindheit. Sein Vater, ein Italiener, sprach kein Italienisch mit den Kindern, denn er wollte nicht zu nostalgisch sein. Von seiner „Oma Rosa“, bei der er viel Zeit verbrachte, lernte er aber die Sprache der Vorfahren.
Mit dem Vater habe er an Wochenenden Basketball geschaut, mit der Mutter Musik gehört. „Jeden Samstag lauschten wir den Opern im Staatsrundfunk .“
Fußball am Sonntag
In Flores steht auch die Volksschule des heutigen Papstes, wo er seine Erstkommunion empfing. Eine 90-jährige Nonne erinnert sich noch daran, dass der kleine Jorge hier immer sonntags Fußball gespielt hat. Bis heute liebt er den Sport und macht kein Geheimnis daraus, dass er Fan des Klubs San Lorenzo aus Buenos Aires ist – dessen Spitzname passenderweise „Die Heiligen“ ist. Zu Spielen gehe er aber nicht, sagt Oscar Lucchini, der wie Bergoglio im San-Lorenzo-Fanclub ist.
Der heute 76-Jährige liebte es in seiner Jugend, Tango zu tanzen und hatte auch eine Tanzpartnerin. Doch die Romanze hatte ein Ende, als er sich zu Höherem berufen fühlte. „Mit 17 Jahren hatte er eine göttliche Offenbarung, in den Orden einzutreten“, erzählt Pater Gabriel aus Flores. Während sein Vater ihn beglückwünschte, gefiel die Idee seiner Mutter angeblich weniger. Sie glaubte, das stünde einer möglichen Karriere im Weg.
Den Papst verbindet bis heute eine besondere Beziehung zu der Gemeinde Flores. Jedes Jahr zu Ostern habe er dort eine Messe abgehalten. Heuer wird er zu dieser Zeit in Rom beschäftigt sein.