Chronik/Welt

Mitterrands 1000 Liebesbriefe an Geliebte Anne

Die 73-jährige Kunsthistorikerin Anne Pingeot weilt derzeit sicherheitshalber im Ausland und ist für Interviews nicht erreichbar. Am Donnerstag werden die "Lettres à Anne" mit einigen Anmerkungen dazu von ihr veröffentlicht. Es handelt sich um 1218 Briefe, die François Mitterrand (1916–1996), Präsident der Republik Frankreich von 1981 bis 1995, ihr ab dem Kennenlernen 1962 schickte. Das Interesse am Buch ist riesengroß. Nicht, weil eine Liebesgeschichte und Zweitfamilie dabei vorgestellt wird, sondern, eben viel nobler, weil der Präsident für sein literarisches Können Bewunderung findet.

Er schreibt nach klassischem Vorbild von der Sehnsucht nach der Geliebten: "Ich habe Dich kennengelernt und sofort geahnt, dass ich mich zu einer langen Reise aufmache." (1964) "Nur der Tod kann mich Ihnen entreißen." (1964) "Ich liebe Deinen Körper, die Freude, die mich durchströmt, wenn ich Deinen Mund nehme. Besitz, der mich verbrennt aus allen Feuern der Welt, das Sprühen meines Blutes tief in Deinem Inneren, Deine Lust, die aus dem Vulkan unserer Körper herausspringt, Flamme im Weltall, Feuersbrunst." (Juli 1970)

Auf Staatskosten

Selbstverständlich quartierte Mitterrand seine Geliebte auf Staatskosten in einer für enge Mitarbeiter des Präsidenten reservierten Wohnung ein. Weihnachten verbrachte Mitterrand mit Anne Pingeot und der Ende 1974 geborenen gemeinsamen Tochter Mazarine. Das Neujahrsfest feierte er mit seiner Frau Danielle und den beiden Söhnen. Auch die Sonntagabende waren für Danielle reserviert. Doch unter der Woche lebte Mitterrand, dem allerdings noch zahllose andere Affären nachgesagt wurden, bei Anne und Mazarine.

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Das Ehepaar Mitterrand hatte Ende der 1960er-Jahre beschlossen, verheiratet zu bleiben, aber privat getrennte Wege zu gehen. An Scheidung wurde nie gedacht, denn Danielle deckte für ihren Mann den linken Flügel der Sozialisten ab, traf sich mit Fidel Castro und verbündete sich mit allen Verfolgten dieser Welt, vor allem mit den Kurden. Ein Sportlehrer namens Jean Danielle war regelmäßiger Begleiter der Première Dame. So gesehen ist es gar nicht so ungewöhnlich, dass bei Mitterrands Begräbnis die uneheliche Tochter Mazarine in der ersten Reihe mit am Sarg stand und ihre Mutter gleich dahinter. Anne Pingeot war Chefkuratorin im Musée D’Orsay, bei der Eröffnung 1986 führte sie Mitterrand und dessen Vorgänger Valéry Giscard d’Estaing durch das Haus. Später wechselte sie in den Louvre.

Redeverbot

Die Franzosen erfuhren erst zwei Jahre vor seinem Tod vom Doppelleben ihres Präsidenten. Mazarine Pingeot-Mitterrand schildert in ihrem Buch "Bouche Cousue" (Redeverbot) über ihre Kindheit mit dem Vater, den sie allen verheimlichen musste. Der französische Geheimdienst war offenbar damit beschäftigt, Mitterrands Privatleben abzuschirmen.

Der letzte Brief an Anne: "Du warst das Glück meines Lebens: Wie soll ich Dich nicht noch mehr lieben?"