Chronik/Welt

"Lehman-Moment der Schifffahrt"

Containerschiffe haben im Normalfall für zwei Wochen Proviant geladen. Einige Seeleute, die bei Hanjing angeheuert haben, hungern und dursten. Seit fast zwei Wochen sitzen sie fest. "Meine Mannschaft dreht durch", berichten Kapitäne vom Chaos auf ihren Schiffen. Derzeit liegen noch 70 voll beladene Containerschiffe mit Waren im Wert von 14 Milliarden Dollar auf Reede, also vor einem Hafen. Die Einfahrt in die Häfen wurde ihnen aus Sorge verweigert, dass sie die Gebühren nicht zahlen könnten. In Singapur, Rotterdam, Hamburg und Schanghai werden Schiffe als Faustpfand festgehalten. Sie dürfen nicht auslaufen, ihre Ware ist beschlagnahmt.

Einige Mannschaften werden wie Gefangene behandelt und durften in Südostasien nicht einmal Wasser und Proviant laden.

Die pleitegegangene siebtgrößte Containerschiff-Reederei gehört dem südkoreanischen Milliardär Cho Yang-ho, dessen Tochter Heather zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, weil sie in der First Class eine Stewardess beschimpft hatte, die ihr unaufgefordert Nüsse angeboten hatte. Die Hanjin-Pleite wird vom Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg als "der Lehman-Moment für die Schifffahrt" bezeichnet: Nach der Finanzkrise könnte Hanjin Auslöser für eine massive Marktbereinigung sein.

Weltflotte: 6000 Schiffe

Die Weltflotte von 6000 Schiffen mit 16 Millionen Standardcontainern (TEU) wickelt 95 Prozent des weltweiten Warenverkehrs ab. Die größten Reedereien sind APM-Maersk (622 Schiffe, Dänemark), MSC (Schweiz) Schweiz), CMA CGM ( Frankreich), COSCOCS (China), Evergreen (Taiwan) und Hapag-Lloyd (Deutschland) mit 163 Schiffen.

Aber seit Jahren gibt es bei einem schwächelnden Welthandel Überkapazitäten und Fracht- und Charterraten auf einem Rekordtief, schreibt der führende Kreditversicherer Euler Hermes. Außerdem haben die Reedereien vor der Finanzkrise, also in ihren Boomzeiten, neue Containerschiffe bestellt, die jetzt ausgeliefert und bezahlt werden müssen. Seit Jänner liegen weltweit 346 Containerschiffe mangels Aufträgen auf Reede. Das heißt, auch sie ankern nicht in einem Hafen, wo Gebühren anfallen.

Risse in Logistikkette

Hanjin hat, was üblich ist in der Branche, auch 61 Schiffe von anderen Reedereien, auch deutschen, gechartert und kann seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Zudem mehren sich nach Angaben der Financial Times gerichtliche Klagen, weil der Ausfall von Hanjin "zu Rissen in der globalen Wertschöpfungs- und Logistikkette" geführt hat.

Die österreichische Autozulieferindustrie zum Beispiel, die auf Rohstoffe aus China angewiesen ist, scheint nicht betroffen zu sein. Ein Wiener Großspediteur, der aber nicht namentlich genannt werden will, sagt, dass er bereits seit Jänner oder Februar wusste, dass Hanjin de facto pleite ist. "Natürlich habe ich nichts mehr mit ihnen verschifft. Denn wer weiß schon, ob die Transportversicherer nicht dann auch noch eine Fahrlässigkeit der Spediteure wittern."

Samsung betroffen

Schwer betroffen war Samsung. An Bord zweier vor der kalifornischen Küste liegender Hanjin-Frachter waren Handyteile, Küchengeräte und Waschmaschinen im Wert von 34 Millionen Euro. Mithilfe von Kohorten von Anwälten durften die Schiffe am Montag und Dienstag endlich entladen werden.

Die USA haben nämlich Chapter Eleven zur Anwendung gebracht, damit hat die Insolvenz jetzt einen Titel und Masseverwalter.

Doch viel Ware ist bereits kaputt, etwa Tiefkühlfleisch aus Kühlcontainern. Die Kühlanlagen mussten auf den meisten Schiffen abgeschaltet werden, da der Treibstoff immer knapper wird. Um den Schaden wird vermutlich jahrelang prozessiert werden müssen. Wieder ein Bombengeschäft für Anwälte.