Chronik/Welt

Historisch: Franziskus besucht Benedikt

Es ist ein Treffen, wie es wohl noch keines in der 2.000-jährigen Geschichte der katholischen Kirche gab: Ein Papst trifft seinen Vorgänger, und dieser ist freiwillig aus dem Amt geschieden und lebt nicht in Gefangenschaft. Die für diesen Samstag terminierte Begegnung von Papst Franziskus und dem emeritierten Papst Benedikt XVI. kann also allein aus diesem Grund historisch genannt werden.

Entsprechend groß war im Vorfeld das Interesse der Medien, auch wenn von den zum Konklave anwesenden rund 6.000 Journalisten, Kameraleuten und Technikern nur noch weniger als ein Drittel in Rom geblieben war, um den neu gewählten Papst während der ersten Wochen seines Pontifikats zu begleiten.

Wenige Fotos

Der Vatikan war jedoch von Anfang an bemüht, die medialen Erwartungen an das Treffen herunterzuschrauben. Es werde keine Live-Bilder und keinen Fototermin geben, hieß es zwar vorab aus dem Presseamt des Heiligen Stuhls - dennoch ließen sich die beiden Würdenträger aber zu einigen Fotos überreden. Offenbar ist man bemüht, allen Spekulationen um ein mögliches "Parallel-Pontifikat" von vorneherein den Boden zu entziehen.

Benedikt XVI. selbst hatte noch zu seinen Amtszeiten klargemacht, dass er sich ab dem Abend des 28. Februar vollständig zurückziehen und der Kirche nur noch mit seinem Gebet dienen wolle. Dem neuen Papst sicherte er noch vor dessen Wahl seine völlige Ergebenheit und unbedingten Gehorsam zu. Seit er sich vor drei Wochen mit einem "Buona notte!" von den Bürgern des Städtchens Castel Gandolfo verabschiedete und in den Apostolischen Sommerpalast zurückzog, hat man außer einem unscharfen Paparazzi-Foto, das ihn beim Spaziergang mit Privatsekretär Georg Gänswein in den Päpstlichen Gärten zeigt, nichts mehr gesehen oder gehört.

Benedikt ist nicht in Vergessenheit geraten

Allerdings haben Gänswein und der neue Papst dafür gesorgt, dass der "Papa emerito" doch nicht völlig in Vergessenheit geriet. Gänswein, seit einigen Monaten auch Präfekt des Päpstlichen Hauses im Rang eines Erzbischofs, war bei fast allen offiziellen Auftritten von Papst Franziskus an dessen Seite zu sehen. Und der neue Papst rief gleich bei seinem ersten Auftritt die Gläubigen auf dem Petersplatz zum Gebet für Benedikt XVI. auf.

Seither hat er ihn mehrere Male erwähnt, zuletzt noch am Tag vor der Begegnung in Castel Gandolfo, als er zu den beim Heiligen Stuhl akkreditierten Botschaftern sprach. Er erinnerte daran, dass der "liebe und verehrte Vorgänger" von der "Diktatur des Relativismus" spricht und vor der geistigen Armut warnt, die eintritt, wenn man nur sich selbst als Maßstab nimmt und keine Wahrheit anerkennt. Beobachter registrierten mit Interesse, dass der neue Papst von der Aussage des Vorgängers über den Relativismus nicht in der Vergangenheitsform, sondern im Präsens sprach. Das klang fast so, als ob der zurückgetretene Papst doch noch immer etwas zu sagen habe.

Ob es für Benedikt XVI., der vermutlich im Mai seinen endgültigen Alterssitz in einem umgebauten Kloster in den vatikanischen Gärten beziehen wird, tatsächlich noch einmal eine Rolle über die des schweigenden Beters hinaus geben kann, ist unter Vatikan-Auguren umstritten. Während einige daran erinnern, dass es unmöglich zwei Personen geben könne, die sich das päpstliche Lehramt teilen, sagen andere, dass laut Lehre des letzten Konzils ohnehin alle Bischöfe daran teilhaben. Mithin sei es nicht prinzipiell ausgeschlossen, dass sich auch der ehemalige Papst weiter theologisch äußern könne - sofern dies in Abstimmung und im Einklang mit dem amtierenden Papst geschieht.

Wie das künftige Miteinander der beiden Männer in Weiß aussehen wird, ist Gegenstand von Spekulationen. Fest steht, dass der ehemalige Papst mit Ratschlägen und Informationen - auch über die zurückliegenden Skandale im Vatikan - für Papst Franziskus eine Hilfe sein kann.

Notizen und Geheimbericht

Wie die katholische TageszeitungAvvenirevor wenigen Tagen berichtet, soll Benedikt XVI. seinem Nachfolger rund 300 Seiten an Notizen hinterlassen haben, und zusätzlich noch den sicher sehr informativen "Geheimbericht" der drei Kardinäle, den er nach der Vatileaks-Affäre hat anfertigen lassen.

Der letzte und bis Februar 2013 einzige Papst, der sein Amt freiwillig aufgab, weil er sich den Anforderungen nicht mehr gewachsen sah, war bekanntlich Coelestin V. Den Wunsch, seinen Lebensabend zurückgezogen im Gebet zu verbringen, wie es auch Papst Benedikt für sich vorsieht, konnte Cölestin nicht umsetzen. Sein Nachfolger Bonifaz VIII. ließ ihn nicht in Frieden ziehen, sondern hielt ihn in loser Gefangenschaft, weil er Angst vor einem Schisma hatte.

Insofern ist es in der Tat ein historisches Ereignis, wenn die beiden Päpste am Samstag in Frieden zusammentreffen.