Hilferufe aus dem Libanon
Von Susanne Bobek
Die Kinder lachen, wie Kinder lachen. Sie spielen, sie möchten in die Schule gehen, sich schön anziehen und satt werden.
Sie weinen, wie Kinder weinen, wenn ihnen Raketen die Beine weggefetzt haben wie einem achtjährigen Mädchen, das hoffentlich bald nach Salzburg kommen darf. Wenn Granatsplitter ihre Gesichter und Arme verunstaltet haben und sie warten müssen, bis ihnen die Caritas Antibiotika bringt oder einen Spitalsaufenthalt bezahlt. Sie weinen, wenn sie Zahnweh haben und leider kein Zahnarzt da ist.
Zeltlager
Sie wohnen in über 1000 Zeltlagern in der Bekaa-Ebene, in Garagen in Beirut, in Rohbauten, in nie eröffneten Einkaufszentren, in Abstellräumen. Sie sind zu zehnt bis zwanzigst mit Geschwistern, Eltern, Großeltern, Tanten und Onkeln in Räumen mit Matratzenlager eingepfercht. Die Erwachsenen haben nichts zu tun, keine Abwechslung, manchmal Lagerkoller. Fließwasser, Toiletten oder Kühlschränke sind Luxus. Und fast täglich kommen neue Kriegsopfer an.
Der Libanon hat nach Angaben von UNHCR bis Juli 1,128.193 Flüchtlinge aufgenommen, vermutlich sind es zwei Millionen. Dabei ist das Land ein geografischer Zwerg im Nahen Osten, nur so groß wie Tirol, mit hohen Bergen, der heißen Bekaa-Ebene und dem langen Küstenstreifen mit den Millionenstädten Beirut und Tripoli. Der Libanon hat 4,5 Millionen Einwohner.
Offene Grenzen
Jedes andere Land hätte seine Grenzen geschlossen und geschrien: "Das Boot ist voll." Doch dazu will und kann man sich nicht durchringen. Und so leben jetzt 18 anerkannte Religionsgemeinschaften, darunter die einander verhassten Sunniten und Schiiten, auf engstem Raum.
Der Libanon hat diese Flüchtlingswelle bisher irgendwie gemeistert. Obwohl viele Libanesen an die Grenzen ihrer Hilfsbereitschaft gestoßen sind. Die Mietpreise haben sich seit Ausbruch der Syrien-Krise 2011 verdoppelt bis verdreifacht, die Arbeitslosigkeit ist explodiert. Lange Stromausfälle stehen auf der Tagesordnung. Doch die Menschen ertragen es mit der ihnen eigenen Gelassenheit.
Das beste Beispiel dafür ist eine junge libanesische Caritas-Mitarbeiterin. Ihr Mann ist wie so viele Libanesen arbeitslos geworden, weil Syrer seine Arbeit für einen Bruchteil erledigen. Er musste als Fremdarbeiter in den Irak gehen, ist jetzt aber wieder zurück. Rachel sagt, "Hauptsache, ich habe einen Job". Und am Abend wird sie feiern und tanzen an den Stränden der sich ständig neu erfindenden Stadt Beirut, wo Armut und Reichtum ganz nah beieinander liegen.
Vertrieben
Amina, 25, kann nicht tanzen gehen. Sie hat drei Söhne und lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Zelt, dessen einziger Luxus ein Estrichboden ist. Dafür zahlt sie 333 Dollar Jahresmiete und 170 Dollar für Wasser und Strom, die ihr Mann als Feldarbeiter verdient. In Aleppo gehörte Amina zur sunnitischen Oberschicht, bis der Krieg begann.
Maria, 21, kommt ebenfalls aus Aleppo. Sie war Jusstudentin. Doch dann wurde ihr Vater entführt, in einem Kühlhaus gefoltert, die Familie zahlte Lösegeld, doch eine Woche nach seiner Freilassung starb der Vater. Maria will nie wieder zurück nach Syrien. Sie ist Christin und Mutter einer Tochter.
"Die Christen gehören hier zu den verletzlichsten Gruppen", sagt Stefan Maier, der Nahostkoordinator der Caritas Österreich. Sie können nicht zurück, und obwohl sie gut ausgebildet sind, werden sie auch in Europa nicht gebraucht. Maria empfindet das als Schande. "Wieso helft ihr den Menschen, die uns umbringen wollen?", empört sie sich. Ihr Mann, ein Arzt von 32 Jahren, geriet in Damaskus zwischen die Fronten, weil er auch die Rebellen versorgen musste. Im Libanon darf er nur als Hilfsarzt arbeiten, gerne würde er auswandern.
Am dritten Tag auf unserer Reise durch Flüchtlingslager im Libanon kommt Caritas-Präsident Michael Landau sichtlich gezeichnet aus einem Zelt: Jetzt habe er mit einer Mutter gesprochen, die ihren zehnjährigen Sohn aus der Schule genommen hat, weil er als Müllsammler für einen Dollar pro Tag zum Familieneinkommen beitragen muss. "Die Augen dieses Kindes waren so traurig", sagt er.
Caritas sammelt
Aus Geldnot wurden 200.000 aus dem Hilfsprogramm von UNHCR ausgeschlossen. Die Caritas hat ihre Augustsammlung den Kindern gewidmet – mit "Caritas & Du". Damit alle Hilfsprogramme (1,8 Millionen Euro im Libanon) weiterlaufen können, muss Caritas-Präsident Michael Landau die Spenden von drei auf sechs Millionen Euro verdoppeln. Er sagt: "Wenn mir ein achtjähriges Mädchen sagt, sorg dafür, dass der Krieg zu Ende geht, dann müssen wir handeln und ihm Perpektiven geben."