Chronik/Welt

Airbus: "Schweigepflicht nicht das Problem"

Hätte eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht die Germanwings-Katastrophe verhindern können? Die Erkenntnisse über die psychischen Probleme des Copiloten Andreas L. haben eine hitzige Diskussion ausgelöst. Fachleute meinen, letztlich sei es immer eine Frage, ob der behandelnde Arzt die Absicht des Patienten richtig einschätzen kann.

Todespilot Andreas L. brachte den Airbus A320 von Germanwings vermutlich absichtlich zum Absturz. Der 27-Jährige hatte eine Vorgeschichte mit schweren psychischen Störungen bis hin zur Suizidgefahr. Andreas L. soll den Flugkapitän aus dem Cockpit ausgeschlossen und dann die Maschine auf Sinkflug gebracht haben, bis sie an einer Bergwand in den französischen Alpen zerschellte. Alle 150 Insassen starben.

Der Präsident der deutschen Bundespsychotherapeutenkammer, Rainer Richter, lehnt eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht ab. "Die Schweigepflicht ist in Fällen, in denen Patienten andere Personen gefährden, nicht das Problem", sagt Richter. "Schon jetzt sind Ärzte und Psychotherapeuten befugt, die Schweigepflicht zu durchbrechen, wenn sie dadurch die Schädigung Dritter verhindern können. In Fällen, in denen es um Leben und Tod geht, sind sie dazu sogar verpflichtet", so Richter.

Eine Lockerung der Schweigepflicht bei bestimmten Berufen könnte laut Richter Katastrophen wie den Germanwings-Absturz nicht verhindern. Das Problem sei "die grundsätzliche Schwierigkeit, bei einem Menschen die Absicht, sich und insbesondere Dritte zu schädigen, verlässlich zu erkennen". Auch eine Jahre zurückliegende Behandlung einer Depression lasse eine Vorhersage einer späteren Suizidgefährdung nicht zu.

"Gar keine Ahnung"

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Die deutsche Pilotengewerkschaft hat sich in die Debatte eingeschaltet. Präsident Ilja Schulz spricht sich klar gegen eine Lockerung der Schweigepflicht aus: "Das kann nur jemand sagen, der von der Materie gar keine Ahnung hat. Wenn mein Arzt von der Schweigepflicht entbunden ist, werde ich ihm gegenüber kein Problem ansprechen, weil immer die Angst vorm Fluglizenzentzug mitschwingt. Besteht die Schweigepflicht, kann der Arzt dagegen echte Hilfe anbieten."

Der Arbeitsrechtsexperte des deutschen Arbeitgeberverbandes BDA, Thomas Prinz, fordert hingegen sehr wohl eine Lockerung der Schweigepflicht in bestimmten Fällen: "Wenn Arbeitnehmer, die in sicherheitsrelevanten Bereichen arbeiten, psychische Probleme haben, sollte eine unabhängige staatliche Stelle davon erfahren."

An der Unglücksstelle laufen die Bergungsarbeiten weiter auf Hochtouren. Der schwer zugängliche Absturzort kann seit Dienstag über einen eigens gebauten Fahrweg erreicht werden. "Wir arbeiten schneller, länger und wir bringen mehr Proben zurück", berichtete die Polizei. Zwei Hubschrauber kreisten über dem Absturzgebiet, um nach Trümmern auch außerhalb der derzeitigen Suchzone Ausschau zu halten. Bisher haben die Ermittler mehr als 4000 Teile geborgen.

Die Identifizierung der Absturzopfer soll laut François Hollande schneller gehen als angenommen: "Bis spätestens Ende der Woche ist es möglich, alle Opfer zu identifizieren", sagte Frankreichs Staatschef in Berlin.

Die Germanwings-Katastrophe bedeutet nicht nur unfassbares Leid für die Angehörigen der Opfer. Der Absturz dürfte auch viele Millionen kosten. Versicherer reagieren mit hohen Rückstellungen. Die Allianz rechnet mit Kosten für die Versicherer von bis zu 300 Millionen Dollar (278 Millionen Euro). Bei der Summe handle es sich um eine vorläufige Schätzung, hieß es. Der endgültige Betrag könne sowohl darüber als auch darunter liegen. Die Allianz als Hauptversicherer der Maschine habe diese Summe aber zunächst festgelegt und zurückgestellt.

Den Hauptteil der Zahlungen machen die Entschädigungen für die Hinterbliebenen aus. Zudem geht es um die Kosten für den zerstörten Airbus, für die Bergung und für die Betreuungskräfte.

Das Geld werde von einem Versicherungskonsortium bereitgestellt, in dem die Münchner Allianz eine führende Rolle spiele, sagte ein Sprecher der Lufthansa. Die Allianz wollte sich zunächst nicht äußern. Auch der US-Konzern AIG, der zu den Versicherern gehört, lehnte einen Kommentar ab. Swiss Re erklärte nur, dass sowohl Germanwings als auch die Lufthansa Kunden des Rückversicherers sind.

Bei Flugzeugunglücken zahlt die Airline das Geld an die Angehörigen aus. Die Fluglinien sind aber versichert. Für die Allianz ist der Germanwings-Absturz bereits das vierte Unglück in kurzer Zeit: Auch bei der vor Indonesien abgestürzten Air-Asia-Maschine und den beiden Unglücken der Malaysia Airlines im vergangenen Jahr war sie Hauptversicherer.

Nach dem Absturz einer Air-France-Maschine im Juni 2009 über dem Atlantik mit 228 Toten hatte ein Richter die Airline dazu verurteilt, den Hinterbliebenen jeweils 140.000 Euro zu zahlen. Diese Summe dürfte später noch erhöht worden sein.

2002 prallten über dem Bodensee eine Tupolew-Passagiermaschine und ein Frachtflugzeug zusammen. Alle 71 Insassen starben. Deutschland und die Schweiz zahlten je zehn Millionen Dollar in einen Entschädigungsfonds ein. Einige Angehörige erhielten im Zuge eines Vergleichs Geld aus dem Pool. 2009 verurteilte ein Gericht die Linie Bashkirian Airlines zu Schadenersatz. Sie musste den Familien von 30 Kindern je 15.700 Euro zahlen.

2000 starben beim Absturz der Concorde in Paris 113 Menschen. Rund 700 Angehörige erhielten von der Air-France-Versicherung insgesamt etwa 173 Millionen Euro Schadenersatz.