Chronik/Welt

"Co-Pilot flog gezielt in den Tod"

In den letzten Minuten auf Flug 4U9525 müssen sich dramatische Szenen abgespielt haben - denn der Germanwings-Airbus wurde bewusst zum Absturz gebracht: Die Staatsanwaltschaft in Marseille und Germanwings haben bestätigt, dass der Co-Pilot das Flugzeug gezielt gegen die Felsmauer gelenkt hat. Die Behörden gehen von einer "willentlichen Tötung" aus, sagte Brice Robin, Staatsanwalt in Marseille.

Der Co-Pilot sei zum Zeitpunkt des Unglücks alleine im Cockpit gewesen, der Chefpilot war ausgesperrt und habe versucht, die Türe einzutreten. "Er hat den Sinkflug mit Vorsatz eingeleitet", so Robin. Das Wort Suizid wollte er nicht in den Mund nehmen: "Ich habe Probleme mit dem Wort Selbstmord, wenn man 149 Menschen mit in den Tod reißt."

Kein terroristischer Hintergrund


Derzeit wird das Umfeld des 28-jährigen Co-Piloten untersucht. "Der Mann war Deutscher, er heißt Andreas Lubitz", so der Staatsanwalt. Er habe noch nicht lange für Germanwings gearbeitet, nämlich erst seit 2013. Von einem terroristischen Anschlag gehe man aber nicht aus. "Darauf deutet momentan nichts hin."

Wieso flog er in den Tod? Was man von Andreas Lubitz bisher weiß

Auch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière bestätigte, dass es „keine Hinweise auf einen terroristischen Hintergrund“ zu Lubitz gebe. Der Mann habe auch auf keiner Terrorliste gestanden. Deutsche und französische Behörden stünden in enger Verbindung, die deutsche Kanzlerin Merkel hat ihre Unterstützung bereits zugesichert. „So etwas geht über jedes Vorstellungsvermögen hinaus“, sagte auch sie. Man ermittle derzeit auf Hochtouren: "Ich glaube, die Opfer haben es verdient zu erfahren, was passiert ist", so der französische Staatsanwalt. Die Angehörigen seien natürlich vorab informiert worden.

Co-Pilot unterbrach Ausbildung

Auch bei der FluglinieGermanwings und deren Mutterkonzern Lufthansa zeigte man sich von den Ermittlungsergebnissen erschüttert. „Das macht uns fassungslos. In unseren schlimmsten Alpträumen hätten wir uns nicht vorstellen können, dass sich in unserem Konzern eine solche Tragödie ereignen kann", sagte Lufthansa-Vorstandsvorsitzender Carsten Spohr in einer Pressekonferenz.

Der Co-Pilot hatte eine normale Laufbahn hinter sich, sei in den USA ausgebildet worden. Vor sechs Jahren habe es zwar eine mehrmonatige Unterbrechung in seiner Ausbildung gegeben, doch danach habe Andreas L. diese aber problemlos fortsetzen können - er konnte die Eignung für den Beruf erneut nachweisen. Zu den Gründen dürfe man nichts sagen, so Germanwings-CEO Thomas Winkelmann. "Seine fliegerischen Leistungen waren einwandfrei, ohne jede Einschränkung. Er war zu 100 Prozent flugtauglich."

Es tut uns einfach nur leid


Das Gerücht, wonach Passagiere beim Co-Piloten angeblich Verhaltensauffälligkeiten bemerkt hätten, wollte man nicht kommentieren. Auch das Wort Selbstmord wollte man, ähnlich wie die Staatsanwaltschaft, nicht in den Mund nehmen: "Wenn jemand 149 andere Menschen mit in den Tod nimmt, ist das für mich etwas anderes als Selbstmord", so Winkelmann. Es handle sich bei dem Vorfall um einen traurigen Einzelfall, dessen Grund man nicht kenne. "Wir haben keine Vermutung, was ihn dazu veranlasst haben könnte. Wir stehen vor einem riesigen Rätsel. Es tut uns einfach nur leid."

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Atemgeräusche bis zum Schluss

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Die französische Staatsanwaltschaft hat ihre Erkenntnisse aus den Aufzeichnungen des Voicerecorders gewonnen. Der Pilot hatte demnach das Cockpit verlassen, um auf die Toilette zu gehen und das Kommando seinem Kollegen übergeben. Als er zurück ans Steuer wollte, habe er die automatisch verriegelte Kabinentür nicht mehr öffnen können. Die plausibelste Deutung gehe also dahin, dass der Co-Pilot vorsätzlich verhindert habe, dass die Tür geöffnet werde.

Mehr über die Funktionsweise der Sicherheitstüren lesen Sie hier.

Auf Ansprache des Towers habe der Mann nicht reagiert. Ein Notruf sei nicht abgesetzt worden. Auf dem gefundenen Stimmrekorder sei zu hören, wie sich die Tür erst öffnet und dann wieder schließt, gefolgt von Klopfen an der Tür. Von innen ist kein Wort zu hören: "Er hat die ganze Zeit kein Wort gesprochen", so Robin.

Schreie zum Schluss hörbar

Daraufhin wurde der Sinkflug eingeleitet – und zwar absichtlich durch das Drehen eines Knopfes. Im Cockpit seien bis zum Aufprall Atemgeräusche zu hören gewesen, was bedeutet, dass der deutsche Co-Pilot bis zuletzt am Leben war. Gesprochen hat er nicht mehr, obwohl neben der Flugsicherung auch andere Maschinen um Kontaktaufnahme mit der Germanwings-Maschine bemüht waren.

Im letzten Abschnitt der Aufzeichnung sei dann ein Alarm zu hören gewesen, offenbar durch die Annäherung an den Boden - und auch eine Art Einschlag, weil die Maschine möglicherweise einen Berg streifte. Die Passagiere dürften davon erst sehr spät etwas mitbekommen haben, so die Staatsanwaltschaft: Schreie seien erst ganz am Ende des Tonbands zu vernehmen gewesen.

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Nach dem Absturz bietet die Fluglinie nun ihren Kunden die Möglichkeit an, zukünftige Flüge kostenlos zu stornieren (allerdings nur telefonisch: 0180-632 03 20). Indes geht die Bergung vor Ort weiter. Am Mittwoch wurden schon die ersten Opfer geborgen (mehr dazu hier). Zugleich ging die Suche nach dem zweiten Flugschreiber in dem Trümmerfeld weiter.

Seit den Anschlägen auf das World Trade Center kann eine Cockpit-Tür von außen nur mit einem Code geöffnet werden. Ein Läuten im Cockpit signalisiert den Piloten, dass jemand den richtigen Code eingegeben hat. Mit Hilfe einer Videokamera überprüft der Pilot im Cockpit, wer vor der Tür steht und entriegelt sie dann mit dem Umlegen eines Schalters. Erst dann ist die Tür geöffnet. Das System ist so ausgelegt, dass niemand ins Cockpit kann, wenn nicht von innen geöffnet wird. Die Piloten haben jedoch noch einen zusätzlichen Notfallcode, um die Türe zu entriegeln, wenn die Türe von innen nicht geöffnet wird. Im Cockpit läutet dann ein Dauerton. Nach einer gewissen Zeit (die Dauer kann eingestellt werden) öffnet sich die Tür für einen kurzen Zeitraum automatisch – doch auch dann kann der Zugang mit einem Kippschalter im Cockpit verweigert werden.

Norwegian ändert Regeln

In Europa gab es bisher kein Procedere, das vorsieht, dass eine andere Person ins Cockpit geht, wenn einer der Piloten dieses verlässt - dies sei nur bei US-Fluglinien üblich, heißt es seitens Germanwings. Die Fluggesellschaft Norwegian will nun nach dem Absturz keine Piloten mehr allein im Cockpit erlauben: "Ab sofort müssen immer zwei Leute im Cockpit sein", sagte eine Sprecherin der norwegischen Fluglinie am Donnerstag. "Das bedeutet, dass wenn einer der Piloten das Cockpit verlässt, etwa um auf Toilette zu gehen, eines der Crewmitglieder ins Cockpit gehen muss."

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