Chronik/Welt

Friedensnobelpreis 2013 für Chemiewaffen-Kontrolleure

Das kommt auch nicht oft vor: Als das Friedensnobelpreis-Komitee in Oslo am Freitag den diesjährigen Gewinner verständigen wollte, konnte es telefonisch niemanden erreichen. Nicht, weil dort niemand mit der Komitee-Entscheidung gerechnet hätte und daher nicht anwesend gewesen wäre, sondern weil das norwegische Fernsehen schon eine Stunde vor Bekanntgabe des Preises den Gewinner erfahren und ausgeplaudert hatte – und dann waren einfach alle Telefonleitungen mit Gratulanten besetzt.

Das Preiskomitee in Oslo hat – wieder einmal – anders entschieden: Der diesjährige Friedensnobelpreis wurde nicht Malala, der vorab favorisierten 16-jährigen pakistanischen Kämpferin für Frauenrechte im Islam zugesprochen, sondern der OPCW. Das Kürzel steht für die Organisation zum Verbot von Chemiewaffen mit Sitz im niederländischen Den Haag.

"Sehr geehrt"

Ihr Generaldirektor zeigte sich, als er dann offiziell verständigt wurde, naturgemäß „sehr geehrt“. Er nannte die Zuerkennung des Preises eine „extrem wichtige“ Stütze für seine Mitarbeiter bei ihrem Einsatz in Syrien. Der Preis sei eine Bestätigung für den Beitrag, den seine Organisation in den vergangenen 16 Jahren zum Frieden geleistet habe.

Die OPCW ist verantwortlich für die Umsetzung der Chemiewaffenkonvention aus dem Jahr 1997. Sie ist eine unabhängige Organisation, die eng mit den Vereinten Nationen zusammenarbeitet. 189 Staaten sind der Konvention bisher beigetreten. Syrien soll am 14. Oktober dazukommen. Die Organisation soll die von den Vertragsstaaten angegebenen C-Waffenbestände und Produktionsanlagen überprüfen und die Vernichtung kontrollieren und dabei Hilfe leisten – was sie derzeit in Syrien tut.

Seit 1997 wurden mehr als 5000 Inspektionen in 86 Ländern abgeschlossen. Dabei wurden nach Angaben der OPCW rund 58.000 Tonnen der deklarierten Waffenarsenale vernichtet, das sind etwa 80 Prozent der bekannten Bestände. Damit erfüllt die Organisation zumindest eine der Voraussetzungen für den Erhalt des Preises, die da lauten: Die Preisträger sollen „den besten oder größten Einsatz für Brüderlichkeit zwischen Staaten, für die Abschaffung oder Abrüstung von stehenden Heeren sowie für die Organisation und Förderung von Friedenskonferenzen“ gezeigt haben.

Stoltenberg: Wahl "hochaktuell"

Durchwegs positiv waren die internationalen Reaktionen auf die Verleihung des Preises. Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg würdigte die Wahl als „hochaktuell. Die OPCW hat aus der Welt einen sichereren Ort gemacht“. Frankreichs Präsident François Hollande wünschte der Organisation, „dass diese Auszeichnung sie in ihrer Aufgabe stärkt, das weltweite Chemiewaffen-Arsenal vollständig und endgültig zu vernichten“. Diese „Waffen des Terrors“ seien erst am 21. August wieder durch das syrische Regime gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt worden. „Solch barbarische Akte dürfen sich nie wieder wiederholen.

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sagte der OPCW Unterstützung zu („Die EU ist entschlossen, bei der Zerstörung von Chemiewaffenvorräten behilflich zu sein“), und auch Österreich will die Organisation bei ihrer heiklen Syrien-Mission „unterstützen“. In welcher Form sei noch unklar, hieß es seitens des Außen- und Verteidigungsministeriums am Freitag. Die syrischen Chemiewaffen hingen jedenfalls „wie ein Damoklesschwert über der Krisenregion“, der Preis sei ein wichtiges Signal zur richtigen Zeit, so Verteidigungsminister Gerald Klug.

Als Favoritin für den Friedensnobelpreis wurde sie gehandelt, doch die Auszeichnung fiel auf einen anderen, was Freude bei den Taliban auslöste. Dies hält die pakistanische Aktivistin Malala Yousafzai, 16, aber nicht davon ab, weiter für eine bessere Welt zu kämpfen. Sie hat hohe Ziele: „Eigentlich wollte ich Ärztin werden, aber als Politikerin kann man noch mehr Menschen helfen“, sagte sie auf CNN, „ich will Premier meines Landes werden.“

Und in einer US-Talkshow eroberte sie die Herzen der Zuseher: Als die Rede auf die Taliban kam, die ihr in den Kopf geschossen hatten, sagte Malala: „Ich dachte mir, wenn sie kommen, schlage ich sie mit einem Schuh. Aber dann gäbe es keinen Unterschied zwischen ihnen und mir.“ Daraufhin wollte sie der Moderator sogar adoptieren.

Die täglichen Berichte der syrischen Menschenrechts-Beobachtungsstelle Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) geben einen trockenen Überblick über das tägliche Morden in Syrien: „Etwa 140 Menschen getötet“ heißt es da. „Die Toten: 35 Zivilisten (darunter 2 Männer zu Tode gefoltert, 3 Frauen, 6 Kinder), 27 Rebellen, 1 Al-Nusra-Front ...“ Das war die Bilanz vom Donnerstag. Ein ganz normaler Tag.

Der 4. August war einer, an dem die Zahl der Toten etwas höher war. Laut Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) starben da 190 Zivilisten alleine bei einem Überfall islamistischer Brigaden auf etwa zehn, überwiegend von der alawitischen Minderheit bewohnte Dörfer: Alte, Blinde, Frauen, Kinder waren unter den Opfern. Mehr als 200 Menschen wurden verschleppt. Ein Großteil der Verschleppten ist nach wie vor in der Gewalt ihrer Geiselnehmer – so sie noch am Leben sind. Als Urheber hat HRW die El-Kaida nahen Gruppen Al-Nusra-Front und Islamischer Staat im Irak und Levante sowie die Brigaden Ahrar al-Scham, Sukor al-Iss und Muhadschirun wa al-Ansar identifiziert. HRW spricht von einem systematischen Massaker. Präsident Bashar al Assad ist ebenfalls Alawit.

Der Vorfall ereignete sich offensichtlich während der Latakia-Offensive der Rebellen, die zum Ziel hatte, in das alawitisch dominierte Küstengebiet vorzudringen. Die Offensive war binnen Tagen von der syrischen Armee zurückgeschlagen worden.

Millionen auf der Flucht

Die Folge solcher Massaker und des alltäglichen Grauens: Ein nicht enden wollender Flüchtlingsstrom, der die Kapazitäten der benachbarten Staaten aufs äußerste strapaziert. Mehr als 500.000 syrische Flüchtlinge haben sich in die Türkei gerettet; knapp 800.000 sind es im Libanon; mehr als 500.000 in Jordanien und fast 200.000 im Irak. Alles in allem rund zwei Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern. Das sind die Zahlen des UNO-Flüchtlings-Hochkommissariats UNHCR. Die Dunkelziffer vor allem im Libanon ist vielfach höher, da sich nur wenige Flüchtlinge registrieren lassen. Das UNHCR schätzt, dass die Zahl der Flüchtlinge in den Nachbarstaaten bis Jahresende auf 3,2 Millionen steigen könnte.

Hinzu kommen derzeit geschätzte sechs Millionen Flüchtlinge innerhalb Syriens – eine Zahl, die vor allem durch wachsende Spannungen zwischen Rebellenfraktionen anwachsen könnte. Denn diese Spannungen eskalieren immer öfter in Kämpfen – und Massakern.

Generell soll die OPCW die von den Vertragsstaaten angegebenen C-Waffenbestände und Produktionsanlagen überprüfen und die Vernichtung der Bestände kontrollieren. Sie ist eine unabhängige internationale Organisation, arbeitet aber eng mit den Vereinten Nationen zusammen. Die Inspektoren können bei einem Verdacht auf den Einsatz von Chemiewaffen eingesetzt werden und kontrollieren auch in chemischen Fabriken, ob Chemikalien tatsächlich nur für zivile Zwecke verwendet werden. Die OPCW leistet Staaten bei der Vernichtung der Waffen auch technische Hilfe.

Seit 1997 wurden mehr als 5000 Inspektionen in 86 Ländern abgeschlossen und nach Angaben der OPCW rund 58.000 Tonnen der von den Staaten deklarierten Waffenarsenale vernichtet, das sind etwa 80 Prozent der bekannten Bestände.

Das Sekretariat in Den Haag mit rund 490 Mitarbeitern, darunter etwa 200 Inspektoren, wird seit 2010 von dem türkischen Diplomaten Ahmet Üzümcü geleitet. Höchstes Organ der OPCW ist die jährlich stattfindende Vollversammlung der Vertragsstaaten. Leitungsorgan ist der Exekutivausschuss mit 41 Mitgliedern, die mindestens vier Mal im Jahr zusammenkommen. Der Haushalt beträgt in diesem Jahr rund 70 Millionen Euro.

Der Friedensnobelpreis 2013 geht nicht an die unerschrockene 16-jährige Pakistanerin Malala, die für die Rechte der islamischen Frauen kämpft und dafür mit einem Kopfschuss büßte, sondern an die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen. Das ist jetzt nur bedingt eine Überraschung, weil sich das norwegische Nobelpreiskomitee immer wieder darin gefällt, statt der Kür des allgemein gehandelten Favoriten eine unerwartete Entscheidung zu treffen.
Manchmal ist das ganz nett, wie bei der „Mutter der Bäume“, der Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin Wangari Maathai 2004. Manchmal ist das erfrischend, wie bei Muhammad Yumus, dem Erfinder der Mikrokredite für Kleinstunternehmerinnen in der Dritten Welt. Und mitunter ist das mehr als fragwürdig, wie bei Barack Obama, der 2009 gerade einmal ein paar Monate im Amt war und auch danach keine nachhaltigen Friedensspuren hinterlassen hat.
Die jetzt ausgezeichnete OPCW ist die Wächterin der internationalen Chemiewaffen-Konvention und gerade in aller Munde, weil sie in Syrien die Zerstörung von C-Waffen kontrolliert. Die Entscheidung, wer sich der Konvention unterwirft und sie wie umsetzt, trifft sie naturgemäß nicht. Und ob sie zumindest eines der Preiskriterien, den „besten und größten Einsatz für Abrüstung“ erfüllt, darf zumindest hinterfragt werden. Aber angesichts der bunten Entscheidungen des Friedensnobelpreiskomitees darf ja auch deren Wichtigkeit hinterfragt werden.

Der Friedensnobelpreis gilt als bedeutendste internationale Auszeichnung im Bemühen um eine friedlichere Welt. Stifter des Preises ist der schwedische Erfinder des Dynamits, Alfred Nobel (1833-1896). In seinem Testament beauftragte er das norwegische Parlament, das Storting, jährlich bis zu drei Personen oder Organisationen für ihre Verdienste auszuzeichnen.

Die Preisträger sollen "den besten oder größten Einsatz für Brüderlichkeit zwischen Staaten, für die Abschaffung oder Abrüstung von stehenden Heeren sowie für die Organisation und Förderung von Friedenskonferenzen" gezeigt haben. Mit dem Friedensnobelpreis wird seit 1960 auch der Einsatz für Menschenrechte und seit 2004 der für Umwelt geehrt.

Fünf Komitee-Mitglieder

Während andere Nobelpreise in der schwedischen Hauptstadt Stockholm vergeben werden, wird die Auszeichnung für Frieden in Oslo verliehen. Seit 1901 wählt dafür ein norwegisches Komitee aus oft mehr als 100 Vorschlägen die Geehrten aus. Heuer gab es insgesamt 259 Nominierungen - so viele wie noch nie zuvor. 50 davon sind Organisationen. Die fünf Komitee-Mitglieder werden für sechs Jahre vom Storting entsprechend der politischen Machtverhältnisse im norwegischen Parlament ernannt. Seit dem Jahr 2009 wird das Komitee vom früheren norwegischen Regierungschef und jetzigen Europarats-Generalsekretär Thorbjörn Jagland geführt.

Die Preisträger werden jeweils im Oktober bekanntgegeben. Bei der feierlichen Verleihung am Todestag Nobels am 10. Dezember erhalten sie in Oslo eine Medaille, eine Urkunde und ein Preisgeld in Höhe von zehn Millionen Schwedische Kronen (1,073 Mio. Euro).