Chronik/Welt

Femen-Aktivistinnen aus Gefängnis entlassen

Die drei in Tunesien zu viermonatiger Haft verurteilten Frauenrechtsaktivistinnen aus Deutschland und Frankreich haben ihr Gefängnis in der Nacht zum Donnerstag verlassen. Wie ein AFP-Reporter von der Frauenhaftanstalt Manouba bei Tunis berichtete, wurden sie in einem Polizeifahrzeug zum Innenministerium gebracht. Nach Angaben des Anwalts der drei Frauen, Souhaib Bahri, könnten sie noch am Donnerstag mit dem Flugzeug nach Europa zurückkehren.

Ein Gericht in der tunesischen Hauptstadt hatte die Haftstrafen am Mittwoch im Berufungsverfahren zur Bewährung ausgesetzt. Die Deutsche Josephine Markmann und ihre beiden französischen Mitstreiterinnen von der Organisation Femen waren vor zwei Wochen in erster Instanz zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden, weil sie Ende Mai mit entblößten Brüsten vor dem Justizpalast in Tunis für die Freilassung der tunesischen Femen-Aktivistin Amina Sbouï demonstriert hatten.

Zwischenfall in Brüssel

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Noch am Mittwoch hatten mehrere Frauen mit entblößten Oberkörpern vor der Brüsseler EU-Kommission gegen den Besuch des tunesischen Ministerpräsidenten Ali Larayedh protestiert. Sie hatten die Aktion gestartet, als die Wagenkolonne mit dem Regierungschef das Berlaymont-Gebäude im Europaviertel verließ, berichteten Augenzeugen. Eine Frau war auf die Windschutzscheibe einer Limousine geklettert. Die Securitys waren zum Teil sehr rüde gegen die Aktivistinnen vorgegangen (siehe Video).

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Nackte Brüste als Botschaft und Statement gegen politische Systeme, Sexismus und Religion. Unter dem Motto „Go topless and win“ protestieren junge Frauen bei Staatsbesuchen, vor Moscheen, Kirchen und sogar bei TV-Shows. Wie jüngst beim Finale des Casting-Formats „Germanys next Topmodel“.

Der ursprünglich aus der Ukraine stammenden Gruppe „Femen“ ist weltweite Aufmerksamkeit gewiss. Auch heute wieder – denn da wird in Tunis das Urteil im Berufungsprozess gegen eine 20 Jahre alte deutsche Studentin und zwei Französinnen nach einem Oben-ohne-Protest erwartet. In erster Instanz waren die drei Mitglieder der Frauenrechtsgruppe zu vier Monaten Haft verurteilt worden.

Kreativer Protest

Angst macht das den anderen Oben-ohne-Amazonen keine, im Gegenteil: Erst gestern haben Femen-Aktivistinnen in Brüssel die Kolonne des tunesischen Ministerpräsidenten Ali Laarayedh angegriffen, um gegen die Festnahme zu protestieren.

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Oben ohne, natürlich. Der „Aufstand nackter Brüste“ sorgt jedoch für Diskussionen. Etwa, ob nackte Haut tatsächlich als feministisches Statement zu werten sei. Und überhaupt: Warum machen die das? Ein klassischer Vorwurf: Die Frauen würden sich erst wieder zum Objekt degradieren. Alexandra Shevchenko, Femen der ersten Stunde, kann darüber nur lachen. Im Gespräch mit dem KURIER sagt sie: „Ich werde dann zum Objekt, wenn ich von Männern benutzt werde. Anders ist, wenn ich auf der Straße demonstriere. Da verkaufe ich ja nicht meinen Körper. Da gehört mein Körper mir. Ich benutze ihn zum politischen Protest. Auch die österreichische Autorin und Feministin Eva Rossmann kann dieser populärer werdenden Form des feministischen Statements etwas abgewinnen: „Kreativität ist bei Protest halt angesagt – warum nicht mit dem Körper? Selbstbestimmtes und selbstbewusstes Handeln ist immer eine gute G’schicht. Vermutlich besser als manch theoretischer, feministischer Diskurs, bei dem keiner mehr hinhören will.“ Das als unzulässige, sexuelle Selbstdarstellung zu degradieren, wäre aus ihrer Sicht nicht nachvollziehbar.

Alice-Schwarzer – Chefredakteurin der feministischen Zeitschrift EMMA – schlägt in eine ähnliche Kerbe. Erst vor Kurzem schrieb sie: „Die Femen kämpfen auf wirklich subversive Art und Weise für zentrale, feministische Anliegen. Sie liegen mit ihren Methoden und Zielen im Kern des Feminismus. Auch, weil sie sich ausziehen. Sie führen mit ihren Aktionen den Status der Frau als Objekt ad absurdum und werden zum handelnden Subjekt.“ Und: „Der Feminismus hat viele Facetten und entwickelt sich Tag für Tag weiter.“

Abseits von Protesten gegen Robbenjagd und Pelze ist das Ausziehen mit Botschaft in Österreich selten. Im Vorjahr posierten Kärntner Schüler für einen Kalender – nur von einem Schild mit dem Spruch „Ohne Bildung stehst du nackt da“ verdeckt. Der Landesschulrat wollte die Verbreitung der Fotos reflexartig verbieten. Reichlich skurril waren jene Fotos, die „Alliance for Nature“ für die Erhaltung der Semmeringbahn schoss: Nackte Rückansichten junger Damen, die auf Züge in der Landschaft blickten.

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Meist ziehen sich Österreicher nur für Schnäppchenaktionen, wegen verlorener Wetten (Rainer Schönfelder beim Skifahren, Hannes Jagerhofer auf dem Stephansplatz) und für die Kunst (Leopold Museum) öffentlich aus. Ausnahme: Auf dem „Naked Bike Ride“ protestieren in Wien regelmäßig nackte Radler gegen Autoverkehr, für humanere Verkehrsgestaltung und Lebensfreude.
Beginn

2008 protestierten 50 Frauen in Kiew gegen den Sextourismus und Zuhälterei in ihrem Land. Motto: „Die Ukraine ist kein Bordell“. Weitere Demos folgten. Ihre Parolen schreiben Aktivistinnen immer auf ihren nackten Oberkörper. Begründung: „Wenn wir nur Transparente schreiben, hört uns niemand.“ Seit 2011 gibt es diese Form des Femen-Protests fast weltweit.

Aktionen

2012 zogen sich Femen-Frauen beim Weltwirtschaftsforum in Davos aus. Bei den Olympischen Spielen in London Protest gegen die Teilnahme „Frauen unter- drückender islamischer Länder.“

2013 Proteste in Tunesien, wo Aktivistinnen festgenommen werden. Beim Putin-Besuch in Berlin muss der russische Präsident „fuck dictator“ auf nackten Frauenkörpern lesen.