Erschütterndes Foto geht um die Welt
Ein kleiner Bub liegt reglos am Strand auf dem Bauch, die Beine ein wenig unter sich angezogen, das Gesicht im Sand zur Seite gedreht, die Wellen schwappen über seinen Kopf hinweg. Er trägt ein rotes T-Shirt und kurze blaue Hosen, schwarz von Nässe. Das Foto eines toten Kleinkindes, das nach dem Untergang eines Flüchtlingsbootes an einen türkischen Strand gespült wurde, hat am Mittwoch für große Bestürzung in den Medien gesorgt. "Ein Foto, um die Welt zum Schweigen zu bringen", schrieb die italienische Zeitung La Repubblica, die das Bild verbreitete. "Der Untergang Europas", kommentierte die spanische Zeitung El Periodico in ihrer Onlineausgabe.
Die Leiche des kleinen Buben wurde am Strand nahe Bodrum, einer türkischen Tourismushochburg, gefunden. Ein Polizist hob sie schließlich auf und trug sie fort.
Das Titelbild zu diesem KURIER-Artikel stammt aus der Reihe der Fotos, die an dem Strand gemacht wurden. Der KURIER hat sich dazu entschieden, die besagte Großaufnahme des toten Kindes nicht zu zeigen.
Bis auf Vater alle ertrunken
Laut Medienberichten war der kleine Aylan drei Jahre alt, als er bei der Flucht über das Mittelmeer starb. Auch sein Bruder Galip überlebte den Angaben zufolge die Überfahrt nicht. Die Familie war laut den Berichten vergangenes Jahr aus der syrischen Stadt Kobane vor der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) in die Türkei geflohen.
Aylan saß vermutlich in einem von zwei Flüchtlingsbooten, die Mittwoch früh auf dem Weg von der türkischen Küste zu einer griechischen Ägäis-Insel sanken. Insgesamt zwölf tote Flüchtlinge aus Syrien, darunter fünf Kinder, wurden von der türkischen Küstenwache geborgen. 15 Flüchtlinge schafften es an Land. Drei Menschen wurden noch vermisst. Am Donnerstag wurden die vier Schlepper von der türkischen Polizei gefasst.
Wie die kanadische Tageszeitung Ottawa Citizen berichtete, wollte die Familie von Aylan offenbar nach Kanada. Nur der Vater habe überlebt, hieß es weiter. Dessen einziger Wunsch sei es nun, mit seiner toten Familie ins syrische Kobane zurückzukehren und sie dort zu begraben, zitiert das Blatt die Familie. Die Schwester des Vaters, Teema Kurdi, lebt schon seit 20 Jahren in Vancouver.
Der Vater der beiden Kinder berichtete später über seine Erlebnisse: "Ich half meinen beiden Söhnen und meiner Frau und versuchte mehr als eine Stunde lang, mich am gekenterten Boot festzuhalten. Meine Söhne lebten da noch. Mein erster Sohn starb in den Wellen, ich musste ihn loslassen, um den anderen zu retten."
Weinend fügte der Vater hinzu, dass trotz seiner Bemühungen auch der andere Sohn gestorben sei. Als er sich dann um seine Ehefrau habe kümmern wollen, habe er sie tot vorgefunden. "Danach war ich drei Stunden im Wasser, bis die Küstenwache ankam und mich rettete." Er habe den Schleppern 4.000 Euro für die Überfahrt seiner Familie gezahlt. Der Menschenschmuggler an Bord sei nach Beginn des hohen Wellengangs ins Wasser gesprungen, um sich in Sicherheit zu bringen, und habe die Flüchtlinge alleine gelassen.
"Fortgespülte Menschlichkeit"
Der Notfall-Leiter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Peter Bouckaert, erklärte, die Flüchtlinge seien "nahezu sicher gestorben, als sie versuchten, in Europa in Sicherheit zu gelangen, indem sie an Bord eines Schmuggler-Boots gingen. Stattdessen hätten sie als die neuesten Opfer von Europas armseliger Antwort angesichts einer wachsenden Krise geendet.
Auf Twitter wurde das Foto unter dem Hashtag in türkischer Sprache #KiyiyaVuranInsanlik verbreitet (Die fortgespülte Menschlichkeit). "Was, wenn nicht dieses Bild eines an den Strand gespülten syrischen Kindes, wird die europäische Haltung gegenüber Flüchtlingen ändern?", fragte die britische Zeitung The Independent auf ihrer Website.
Kritik
Fotos, die das Grauen zeigen, dem Kriegsflüchtlinge ausgesetzt sind, verbreiten sich schnell über das Internet. Erst kürzlich erntete die Kronen Zeitung harsche Kritik, als sie eine ungepixelte Aufnahme von der Flüchtlingstragödie auf der A4 zeigte. Auch NEOS-Chef Matthias Strolz sah sich mit breiter Ablehnung konfrontiert, als er auf seiner Facebook-Seite ebenfalls ungepixelte Fotos von ertrunkenen Flüchtlingskindern veröffentlichte.