Chronik/Welt

Gewalt im Asylheim: Religion ist meist nicht das Problem

Ums Essen soll es gegangen sein. Nur darum, wer zuerst dran kommt.

Was Sonntagmittag anfangs zwei Flüchtlinge in Streit geraten ließ, entwickelte sich im Lauf des Tages zur Massenschlägerei: Stundenlang gingen Flüchtlinge in einem Notquartier im hessischen Calden aufeinander los, gut 400 Menschen waren es zum Höhepunkt – sie schlugen sich mit Stöcken, sprühten sogar mit Reizgas um sich. 14 Menschen, darunter drei Polizisten, wurden bei dem Gewaltexzess verletzt. Etwa 100 Beteiligte wurden danach in eine andere Einrichtung überstellt.

Stellvertreterkriege?

Der Vorfall ist nicht der erste dieser Art. Er wird sicherlich auch nicht der schwerwiegendste gewesen sein – aber er hat die Debatte in Deutschland in eine neue Richtung gedreht: Polizei und Politik fordern nun eine strikte Trennung der Flüchtlinge nach Religion und nach Herkunft. Dies soll helfen, Konflikte wie eben jenen in Hessen zu vermeiden, sagt etwa Hans-Peter Friedrich von der CSU, bis 2013 auch Bundesinnenminister. Auch Grünen-Chef Cem Özdemir fordert einen besseren Schutz für Minderheiten in den Heimen – wie etwa Christen oder Jesiden.

Werden dort etwa Stellvertreterkriege geführt? Experten sind sich da nicht so sicher. "Wenn Sie Menschen mit traumatisierenden Erfahrungen auf verhältnismäßig engem Raum unterbringen, Menschen, die dazu noch eine unsichere Perspektive haben – da sind Spannungen durchaus nachvollziehbar", sagt Daniel Wagner, Sprecher des Diakonischen Werks in Nürnberg. Natürlich würden die Konflikte durch nationale oder religiöse Ressentiments verstärkt – allein, Auslöser seien meist andere, viel banalere Dinge.

Zu wenig Platz

Ein Grundproblem sei die massive Überbelegung: In der Zeltstadt in Calden, in der es jetzt zur Randale kam, leben 1500 Menschen – zugelassen ist die Einrichtung aber nur für 1000. Im thüringischen Suhl, wo ein ähnlicher Vorfall vor einigen Wochen für Schlagzeilen sorgte, waren statt der vorgesehenen 1200 auch 1800 Asylwerber unterbracht. Dort standen die Flüchtlinge schon auch mal zwei Stunden für ihr Essen an. "Schwierig ist es vor allem in Küchen und Sanitäreinrichtungen", sagt auch Helmut Stoll, bei der Diakonie für Migration zuständig. Die vorgeschriebenen sieben Quadratmeter pro Flüchtling würden oft unterschritten, in den provisorischen Zeltstädten mangle es an Toiletten. Dazu kommen Spannungen zwischen jenen, die eine bessere Bleibeperspektive haben als andere – das schürt Neid. Deshalb aber eine präventive Trennung nach Ethnien und Religion vorzunehmen sei nicht sinnvoll, sagt Wagner: "Das halte ich weder für realistisch noch für geboten." Derzeit sei es wegen des massiven Zustroms ohnehin nicht möglich, die Menschen zu separieren – die Behörden seien jetzt schon am Rande ihrer Möglichkeiten, um überhaupt Quartiere zu finden. Dazu kommt noch ein behördliches Problem: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erfasst bei der Erstaufnahme nur die Nationalität, nicht aber die Konfession.

Wagner führt auch noch ein anderes Argument ins Treffen: "Um sich integrieren zu können, gehört ja auch die Erfahrung dazu, mit anderen Menschen und Religionen zu leben", sagt er. Anders sei ein friedlicher Umgang miteinander nur schwer zu erlernen.