Das Land der vielen Schlaglöcher
Von Evelyn Peternel
"Leider ist die Brücke gesperrt. Und da das Verkehrsministerium auch gleich den Abschnitt danach wegen Hitzeschäden für nicht befahrbar hält, müssen wir einen Umweg von 30 Kilometern in Kauf nehmen", sagt der Busfahrer. Er ist sichtlich genervt – seine Gäste auf der Fahrt nach Rostock können es ihm nicht verübeln.
Dass Deutschlands Straßen in einem maroden Zustand sind, ist ein trauriges Faktum. "Der Zustand der Straßen hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verschlechtert", sagt Jürgen Berlitz, Fachreferent für Straßenverkehrsplanung beim ADAC. "Ein Fünftel der Autobahnen und knapp 40 Prozent der Bundesstraßen befinden sich in schlechtem oder sehr schlechten Zustand."
Infrastruktur-Wüste
Wer die Gründe sucht, wird im Jahr 1991 fündig. Damals, nach Wende und Wiedervereinigung, war die mit guten Straßen ausgerüstete BRD mit einer infrastrukturellen Wüste namens DDR konfrontiert – da nach dem Zweiten Weltkrieg kein Aufbau wie in Westdeutschland betrieben wurde, sondern die Sowjets im großen Stil Industrieanlagen und Schienennetz abmontierten, entstand die sogenannte "Infrastrukturlücke".
Nach der Wende investierte das zusammengewachsene Deutschland deshalb hauptsächlich in den Bau der Ost-Straßen – das Netz in der einstigen DDR wuchs um 10.000 Kilometer, also gut 20 Prozent. Heute rächt sich das im Westen: Parallel zum Aufbau Ost ist der Straßenbau in Westen stagniert.
Neben den Schlaglochpisten in den latent unterfinanzierten Kommunen merkt man das vor allem bei den baufälligen Brücken, denn die Mehrzahl ist zwischen 30 und 50 Jahre alt – und gerade mal 14 Prozent befinden sich in gutem oder sehr gutem Zustand. Das merkt man in Ferienzeiten mehr also sonst.
In den heißen Sommertagen tat sich buchstäblich noch ein anderes Problem auf: Hitzeschäden. "Die sogenannten Blow-ups auf Autobahnen sind ein Warnsignal der maroden Infrastruktur", sagt ADAC-Experte Berlitz.
2,7-Milliarden-Paket
Dass Handlungsbedarf besteht, weiß auch CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt. Er hat deshalb ein Projektpaket von 2,7 Milliarden präsentiert, das Geld soll in 72 Straßenprojekte fließen – bis 2018 soll das Geld in Lückenschlüsse bei Autobahnen und Bundesstraßen fließen, aber auch in Neubauprojekte und Modernisierungen und Brückensanierungen. Sein Rezept ist aber nicht allen genehm: Viel zu wenig, sagen etwa Autofahrerclubs; der ADAC beziffert den jährlichen Investitionsbedarf mit zumindest 7,5 Milliarden Euro. Falsch eingesetzt, sagen indessen die Grünen: Sie monieren, dass Dobrindt hauptsächlich Ortsumfahrungen bauen lasse, die keinen Effekt für das überregionale Straßennetz hätten.
Aber auch eine andere Idee Dobrindts sorgt für Irritationen. Zumindest zehn seiner 72 Projekte sollen nämlich mit Unterstützung privater Investoren realisiert werden. Sie sollen für den Staat Autobahnen bauen und diese die nächsten 20 bis 30 Jahre in Schuss halten – währenddessen bekommen sie dafür Geld vom Staat, etwa Anteile an der Lkw-Maut. So bekommt der Unternehmer seine Investition wieder retour – plus Rendite.
An diesem Geld sind natürlich auch Lebensversicherungen und Pensionsfonds, die die private Altersvorsorge der Deutschen in Billionenhöhe verwalten, interessiert. Das wiederum ärgert die Grünen: Die Sparer würden sich dadurch die Rendite ihrer eigenen Altersvorsorge finanzieren – über die Lkw-Maut, auf die der Staat verzichten muss. "Ein absurder Kreislauf", meint Fraktionschef Anton Hofreiter. Auch der Bundesrechnungshof hat sich kritisch gegenüber dem Modell gezeigt. Es sei schlicht teurer als die öffentliche Variante. Eine Alternative dazu hat sich bisher nicht aufgetan – Deutschlands Straßen bleiben vorerst eine Schlaglochpiste. Die Dame, die hinter dem schimpfenden Busfahrer auf dem Weg nach Rostock sitzt, reagiert jedenfalls gleichmütig: "Was soll’s. Mit dem Zug ist man noch langsamer unterwegs – die Bahn kommt ja immer zu spät", sagt sie lakonisch.