Chronik/Welt

Aufreger-Buch: Guter Papst, verkommener Vatikan

Skandale, Bereicherung, üble Machenschaften, undurchsichtige Finanzgeschäfte und verschwenderischer Luxus: Die römische Kurie, die Vatikan-Verwaltung, ist bei Amtsantritt von Papst Franziskus in einem verkommenen Zustand. In dem neuen Buch "Alles muss ans Licht" veröffentlicht Gianluigi Nuzzi geheime Dokumente und abgehörte Gespräche aus dem innersten Zirkel des Papstes. Der neue Vatileaks-Skandal sorgt für gehörige Aufregung in Rom.

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"Alle Dokumente sind von Personen zur freien Verfügung gestellt worden, die legalen Zugang dazu hatten", betonten der Autor und sein Verleger bei der Präsentation in Rom. "Viele Gläubige sind interessiert , was im Vatikan passiert, weil sie der Kirche ihr Geld anvertraut haben." Während Kurienkardinäle wie der ehemalige Kardinalstaatssekretär Bertone auf 500 Quadratmetern residieren, wohnt Franziskus in einer 50-Quadratmeter-Wohnung im Gästehaus. Das 350 Seiten lange Werk liefert Zeugnis von einem erbitterten Machtkampf im Vatikan zwischen Reformanhängern von Franziskus und seinen Gegnern, die jede Veränderung sabotieren.

KURIER: Fürchten Sie nach der Veröffentlichung des Buches rechtliche Schritte des Vatikan gegen Sie?

Gianluigi Nuzzi: Als italienischer Staatsbürger berufe ich mich auf die italienische Verfassung und auf das Recht auf Meinungsfreiheit. Ich habe keine Angst, auch weil die veröffentlichten Fakten der Wahrheit entsprechen und aus zuverlässigen Quellen stammen.

Was bezwecken Ihre Informanten mit der Weitergabe geheimer vatikanischer Dokumente und abgehörter Gespräche aus dem Umfeld des Papstes?

Ich denke, die Motivation der Informanten war es, dass die Öffentlichkeit von der fatalen Misswirtschaft im Vatikan erfährt. Die beiden Verhaftungen (Francesca Chaouqui, PR-Frau im Vatikan, und Lucio Angel Vallejo Balda, Prälat) kurz vor dem Erscheinungsdatum sehe ich als ungeschickten Versuch, das Interesse von meinem Buch wegzulenken.

Sie berichten von eklatanter Misswirtschaft.

In den Geschäften, die dem Vatikan gehören, sind Lebensmittel, Kleidung und Medikamente im Wert von 1,6 Millionen Euro verschwunden. Für diese Diebstähle wurde jedoch leider nie jemand zur Verantwortung gezogen. Dass die Öffentlichkeit nun davon erfährt, verfolgt den Zweck, dass künftig keine Gelder mehr verschwinden.

Wie Geldspenden – der "Peterspfennig" – ausgegeben werden, sorgt ebenfalls für Aufsehen: Von zehn Euro Spendengeldern, die 2013–2014 eingenommen wurden, blieben nur zwei Euro für Bedürftige über.

Franziskus hat die Armut bisher in den Mittelpunkt seines Pontifikats gestellt. Er hat bisher so viel für die Armen getan, wie in der ganzen Zeit davor niemand im Vatikan. Angefangen bei Spendensammlungen, der medialen Aufmerksamkeit, die Franziskus auf Bedürftige gelenkt hat, der Einrichtungen für Obdachlose, Essenausgaben, sowie die Unterstützung von Flüchtlingen.

Welche Lobby agiert am stärksten gegen Franziskus?

Jorge Mario Bergoglio versucht, eine gewisse Mentalität in der Kurie zu ändern. Wer aber jahrzehntelang enorme Privilegien genossen hat, will diese nicht verlieren. Ein Teil unterstützt den päpstlichen Reformkurs, ein anderer Teil sabotiert ihn und verbreitet dann Lügen wie die, Franziskus würde an einem Gehirntumor leiden.

Der Papst sagt: "Die Wurzel unserer Probleme liegt darin, dass wir uns wie Neureiche verhalten, die ihr Geld wahllos ausgeben. Wir sollen mit dem Geld eigentlich den Armen helfen. Unsere Probleme gründen in unserer Organisationskultur und in fehlendem Verantwortungsbewusstsein. Alles ist außer Kontrolle." Ist die Situation nun besser unter Kontrolle?

Die Situation ist beeinträchtigt, aber die Veränderungsprozesse sind im Gange. Wie lange die Umsetzung der Reformen dauern wird, ist schwer vorherzusagen.

Wird auch Franziskus eines Tages zurücktreten?

Ich denke nicht. Ich hoffe, dass er seinen Weg fortsetzt. Persönlich gefällt mir Franziskus sehr – das sage ich als Privatmensch, nicht als Journalist.

VatiLeaks II: Die Dokumente sind echt:

Geheimnisverrat
Bis zu acht Jahre Haft stehen im Vatikan auf Geheimnisverrat. Die Ermittlungen der Vatikanpolizei begannen, als das Magazin "L’Express" die enormen Ausgaben des neuen Vatikan- Wirtschaftsministers George Pell veröffentlichte: 501.000 Euro.

Aus dem innersten Kreis
Die Dokumente der Journalisten Gianluigi Nuzzi und Emiliano Fittipaldi vom "L’Express" sind echt und können nur aus dem innersten Zirkel stammen. Nuzzi sagt, sie seien nicht gestohlen und aus "absolut zuverlässigen Quellen".

Verschwendung und Geiz
"Alles muss ans Licht" heißt das Buch von Gianluigi Nuzzi, das heute auf Deutsch im Ecowin-Verlag erscheint. Der Journalist Emiliano Fittipaldi hat sein Sachbuch "Avarizia" (Geiz) genannt, das sich mit den Vatikanfinanzen beschäftigt.