Chronik/Welt

Antibabypille-Erfinder Carl Djerassi ist tot

Gegen Ende seines langen, schaffensreichen Lebens hat er sich geärgert, dass man ihn immer auf den Wissenschaftler, der die Pille erfunden hat, reduzieren wollte. So hat er auch in seinem letzten großen KURIER-Interview moniert: „Sie werden Ihren Artikel damit beginnen, über mich als Mutter der Pille zu schreiben. Und irgendwann erwähnen Sie, dass ich auch schreibe. Dabei bin ich seit über 20 Jahren Schriftsteller und Bühnenautor.“

In der Nacht von Freitag auf Samstag ist Carl Djerassi im 92. Lebensjahr in San Francisco gestorben. Der Autor von Gedichten, Kurzgeschichten und Theaterstücken, der vielfach dekorierte Chemiker und nicht zuletzt der feinsinnige Kunstsammler Djerassi hat seinen bis zuletzt bemerkenswert ausdauernden Kampf gegen sein Krebsleiden verloren. Er sei Zuhause - umgeben von Familie und Freunden - friedlich eingeschlafen, heißt es in einer Mitteilung der Stanford Universität.

Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, den eine jahrelange gute Beziehung mit dem Kunstsammler verband, sprach in einer ersten Reaktion von „einem entsetzlichen Verlust“. In der Tat verliert das Land einen großen Denker, der nicht nur in seiner wissenschaftlichen Disziplin Bleibendes hinterlassen hat (der Albertina unter anderem die Hälfte seiner großen Paul-Klee-Sammlung).

Vertriebene Vernunft

Djerassi gehört jener Generation an, die in Österreich geboren wurde, von den Nazis vertrieben wurden und die sich in den USA als Wissenschaftler einen großen Namen machen konnten. „Als Chemiker bin ich Amerikaner“, merkte Djerassi deshalb auch an.

Nach seiner Emigration ermöglichten ihm Pflegeeltern den Besuch einer High School in Newark und der University of Wisconsin, wo er bereits im Alter von 21 Jahren in organischer Chemie promovierte.

Weltweiten Ruhm brachten ihm zwei Entdeckungen ein: die Synthetisierung des Hormons Cortison, wodurch dessen Massenproduktion ermöglicht wurde, und 1951 die Synthetisierung des Schwangerschaftshormons Gestagen. Mit den Bostoner Pharmakologen Gregory Pincus und John Rock hatte er damit die Grundlage für die Antibabypille entwickelt, eine Bezeichnung, die Djerassi übrigens selbst ablehnte, weil er die oral einzunehmende Verhütungspille nicht gegen Babys gerichtet verstand, sondern für die Frau.

Das Verhütungsmittel kam 1960 erstmals auf den Markt. Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer fasste in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur die Verdienste des Forschers einmal so zusammen: „Djerassi verdient ein Denkmal! Die Pille ist ein Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation der Frauen.“

Djerassi selbst bewertete seinen naturwissenschaftlichen Erfolg bei allem Stolz mit Bescheidenheit. Er bezeichnete sich ausdrücklich als „Mutter der Pille“, weil er sich selbst nur als chemischer Erfinder des Empfängnisverhütungsmittels betrachtete, und schrieb auch eine gleichnamige Autobiografie. In späteren Jahren wies er wiederholt darauf hin, dass sein Leben mehr umfasse als die Erfindung der Pille.

Weniger Ruhm war ihm als Autor gegönnt. Lotte Tobisch, die er in den vergangenen Jahren regelmäßig zum Meinungsaustausch getroffen hatte, erinnert sich, dass er sich selbst als großen Dramatiker gesehen und es ihn daher auch gekränkt hat, dass man keines seiner Theaterstücke in Wien aufgeführt hat. Auch andere Wegbegleiter erinnern sich an einen „vielleicht könnte man auch sagen selbstbewussten Menschen“ (© Lotte Tobisch), der sich auf unzählige Auszeichnungen und Ehrendoktorate berufen konnte.

Immerhin sein Kollege, der ebenfalls vielfach geehrte Chemiker Richard N. Zare von der Stanford Universität, würdigte ihn am Samstag posthum als Forscher und Autor: „Carl Djerassi ist wohl der großartigste Chemiker, den unser Fachbereich je hatte." Er kenne keinen anderen Menschen in der Welt, der Wissenschaft mit literarischem Talent so gut verbinden konnte. Der Universalgelehrte selbst, der abwechselnd in Wien, London und San Francisco lebte, verstand sich als „intellektuellen Schmuggler“, der wissenschaftliche Fakten in seine literarischen Werke einbrachte. „Wenn es spannend genug ist, lernen sie gleich etwas dazu.“

Djerassi wurde in die „National Inventors Hall of Fame“ aufgenommen, war Mitglied der American Academy of Arts and Sciences sowie Ehrenmitglied der britischen Royal Society of Chemistry. 1999 erhielt er das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst.

Carl Djerassi ist es leid, auf den Wissenschaftler, der die Pille erfunden hat, reduziert zu werden. „Sie werden Ihren Artikel damit beginnen, über mich als Mutter der Pille zu schreiben. Und irgendwann erwähnen Sie, dass ich auch schreibe. Dabei bin ich seit über 20 Jahren Schriftsteller und Bühnenautor.“

Djerassi ist stolz auf seine Leistungen, immerhin wird ihm an seinem 90. Geburtstag kommenden Dienstag in Frankfurt sein 32. Ehrendoktorat verliehen. Trotz seines hohen Alters ist er ständig auf Reisen von einem Termin zum anderen – allein in diesem Jahr waren es bereits 34 offizielle Anlässe in 20 verschiedenen Städten.

Carl Djerassi will lieber über seine vierte Biografie sprechen – er nennt sie Autopsychoanalyse. „Ein Begriff, den Siegmund Freud nie akzeptieren würde, denn eine Psychoanalyse braucht immer einen Patienten und den Arzt, der ihn analysiert. Wer wirklich etwas über mich erfahren will, erfährt es hier.“

Das Buch beginnt mit einer fiktiven Nachrichtenmeldung über den Suizid von Djerassi an seinem 100. Geburtstag. Im KURIER-Interview spricht er über Anerkennung, Österreich und über seinen Tod.

KURIER: Herr Djerassi, bei so vielen Ehrungen gibt es eine Auszeichnung, die Sie sich noch wünschen würden?
Carl Djerassi:
Diese Frage ist akademisch. Ich habe das Thema in meinen Büchern „Stammesgeheimnisse“ und „Aufgedeckte Geheimnisse“ verarbeitet. 32 Ehrendoktorate sind in vielen Aspekten absurd. Doch erst mein 26. oder der 27. Titel wurde mir von einer österreichischen Universität verliehen. Statt zu sehen, wie viele ich schon habe, habe ich immer nur vermisst, dass ich noch keines aus Österreich hatte. Im vergangenen Jahr erhielt ich dann plötzlich vier Ehrendoktorate von Österreichischen Universitäten – eine Lawine! Und trotzdem frage ich mich, ob ich für meine Leistungen anerkannt werde oder aus Schuldbewusstsein, weil ich im Zweiten Weltkrieg fliehen musste.

Doch zurück zu Ihrer Frage: Was mir noch fehlt, ist Akzeptanz durch die österreichische Theaterwelt. Das hat aber nichts mit Antisemitismus zu tun, sondern mit der Berührungsangst des Theaters mit Wissenschaft und Technologie. Mein sechstes Stück „Phallstricke“ war mein Geschenk an Wien, das etwa in London, New York und Portugal gezeigt, aber im Wiener Theater absolut ignoriert wurde.

Anfang Oktober wurden die Nobelpreise verkündet – mehrere gingen schon an von den Nazis vertriebene Österreicher und Deutsche. Warum sind sie alle im Ausland geblieben?
Obwohl ich Miterfinder der Pille bin und an vielen anderen wichtigen Entwicklungen beteiligt war, wurde ich erst 1992 erstmals als Vortragender nach Österreich eingeladen – und das von Literaten. Unter den österreichischen Akademikern meiner Generation und einigen danach gab es einfach noch viele Nazis – das hat sich inzwischen geändert. Jedoch viel langsamer als bei den Deutschen. Ich bin mir sicher, dass Eric Kandel (Medizin-Nobelpreis 2000) oder Walter Kohn (Chemie-Nobelpreis, 1998) vor ihren Ehrungen auch nie nach Wien eingeladen wurden.

Hoffen Sie selbst noch auf den Nobelpreis?
Natürlich war ich nominiert, aber dieses Boot ist schon vor langer Zeit abgefahren.

Sie haben Ihre Karriere als Naturwissenschaftler begonnen, jetzt sind Sie Schriftsteller. Was haben diese beiden Disziplinen gemeinsam?
Für mich nichts. Das sind zwei verschiedene Welten und das war auch wichtig für mich. In der Literatur kann man Dinge erfinden, in der Wissenschaft gibt es nur harte Fakten Schwarz auf Weiß. Auch das Publikum ist total unterschiedlich.

Wenn Sie heute geboren würden, für welchen Weg würden Sie sich entscheiden?
Ich bin von Natur aus neugierig, daher würde ich mich zunächst wohl wieder für die Wissenschaft entscheiden. Für einen Schriftsteller ist es besser, älter zu sein und Erfahrungen mitzubringen.

Woran würden Sie jetzt forschen?
Ich würde organische Chemie wohl als Basis studieren, aber mich für die Neurowissenschaft entscheiden. Derzeit ist Alzheimer ein wichtiges Forschungsgebiet.

Der Freitod ist ein wichtiges Element in Ihrem Leben und in Ihren Büchern. Ihre Tante beging Suizid, auch Ihre Tochter, worüber Sie sehr offen sprechen. Warum ist der Freitod in unserer Gesellschaft so ein Tabu?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Suizid und einem plötzlichen Unfall oder einer Krankheit. Suizid ist eine Nachricht an die Hinterbliebenen. Viele Menschen weigern sich, diese Nachricht anzuerkennen oder schämen sich, darüber zu sprechen. Viele Menschen haben mir aber schon dafür gedankt, dass ich so offen darüber rede.

Sie werden am Dienstag 90 Jahre alt und beschäftigen sich in Ihrem Buch mit Ihrem Tod. Wie möchten Sie sterben?
Heimat ist für mich der Ort, an dem man geboren wurde. Ich habe mir vor vier Jahren einen Wohnsitz in Wien geschaffen und hier möchte ich sterben. Hoffentlich durch einen Herzinfarkt oder Unfall – es muss jedenfalls schnell gehen. Ich möchte aber nicht in Wien begraben werden. Meine Asche soll über dem Wasserfall auf meiner Ranch in Kalifornien verstreut werden, wo auch die Asche meiner Tochter Pamela und meiner Frau Diane verstreut wurde.

Wofür soll man sich künftig an Sie erinnern?
Dafür, dass ich nie Menschen geschadet habe. In meiner Arbeit ging es immer darum, Menschen zu helfen.

BUCHTIPP

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„Der Schattensammler. Die allerletzte Autobiografie“ von Carl Djerassi. Erschienen bei Haymon, 477 Seiten, 24,90 Euro.

www.djerassi.com

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) hat „mit großer Anteilnahme“ auf den Tod des Wissenschafters und Autors Carl Djerassi reagiert. „Seine wissenschaftlichen Leistungen habe ich immer bewundert, aber vor allem habe ich den Menschen geschätzt, den ich in zahlreichen Begegnungen kennenlernen durfte. Meine Gedanken sind bei seiner Familie und den Angehörigen“, teilte Faymann in einer Aussendung mit.

Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) würdigte das Wirken des in Wien geborenen Wissenschafters und Kunstsammlers. „Seiner Liebe zur Kunst und seiner persönlichen Verbundenheit zur Albertina verdanken wir auch eine unschätzbare Bereicherung der Sammlung. Mit einer Schenkung von über 60 Hauptwerken von Paul Klee hat er deutlich gemacht, dass Kunst und Kultur Symbole des Miteinanders und der Versöhnung sind. Dafür gebührt Carl Djerassi besonderer Dank“, hielt der Ressortchef fest.

Betroffen zeigte sich auch SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Er bezeichnete den verstorbenen Erfinder der Antibabypille in einer Aussendung als wichtigen Wegbereiter für die sexuelle Revolution und für ein selbstbestimmtes Leben der Frauen. „Für Djerassi stand die Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der Frau im Vordergrund“, so Schieder.

Djerassi war ein Mensch mit genialen Zügen, der immer mehr als nur ein Leben führte und sich nie davor scheute, sich einem gänzlich neuen Gebiet zuzuwenden. Er war eine der seltenen Persönlichkeiten mit einer Mehrfachbegabung, die sich in der Wissenschaft, der Literatur und der Kunst gleichermaßen zu Hause fühlte. Erfolg hatte er auf allen Gebieten“, teilte der Wiener Kultur- und Wissenschaftsstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) mit. Trotz seiner Vertreibung aus Wien durch die Nationalsozialisten sei Djerassi mit seiner Heimatstadt bis zuletzt in einer herzlichen Freundschaft verbunden gewesen.

Die Albertina verdankt Carl Djerassi eine der reichsten Schenkungen der letzten 15 Jahre. Zwei große Skulpturen von George Rickey sowie 65 Aquarelle, Gouachen und Zeichnungen von Paul Klee hat er der Albertina übergeben, berichtete Museumsdirektor Klaus Albrecht Schröder. „Djerassi hat 2003 wieder intensiven Kontakt zu Österreich gesucht und über eine enge Verbindung mit der Albertina und eine tiefe Freundschaft zu mir persönlich den Weg zurück nach Wien gefunden, um schließlich diese Stadt als seinen dritten ständigen Wohnort neben San Francisco und London zu wählen“, so Schröder in einer schriftlichen Stellungnahme.

Nicht nur der Albertina habe Djerassi große Bestände seiner Kunstsammlung zukommen lassen. Nach dem Selbstmord seiner Tochter richtete er eine Stiftung auf seiner Ranch am Pazifik für Literaten, Künstler, Tänzer und Komponisten ein. Seine Skulpturensammlung, darunter eine wertvolle Kollektion an Rodins, hat er dem Museum der Stanford University geschenkt. Über 60 Werke Paul Klees hat er außerdem dem Museum of Modern Art in San Francisco als Schenkung überlassen. Weitere Stiftungen für die Künste und die Forschung der Literatur richtete er nach dem Tod seiner zweiten Frau Diane Middlebrook ein.

„Seinem letzten Wunsch an mich, sein noch nicht publiziertes letztes Buch nach seinem Tod in der Albertina zu präsentieren und eine Gedenkfeier für ihn zu veranstalten, werde ich leider früher nachkommen müssen, als gehofft“, berichtete Schröder. Djerassi habe sich für die Rickey-Skulptur, die auf der Albertina Bastei aufgestellt ist, folgende Inschrift gewünscht: „Born 1923, Exile 1938, Reconciled 2003“ („Geboren 1923, Exil 1938, Ausgesöhnt 2003“, Anm.).

Ö1 ändert in memoriam Carl Djerassi sein Programm: Am Sonntag wird um 14.10 Uhr ein Porträt in den „Menschenbildern“ ausgestrahlt, am Dienstag folgt um 21.00 Uhr Djerassis Stück „Vier Juden auf dem Parnass“ im „Hörspiel-Studio“.

Die Anti-Baby-Pille verhindert eine Schwangerschaft, indem sie dem Körper der Frau eine Schwangerschaft hormonell vorgaukelt. In den meisten Präparaten wird dazu die Kombination zweier künstlich hergestellter Hormone genutzt, die den körpereigenen Hormonen Östrogen und Gestagen (Progesteron) ähnlich sind.

Östrogen in geringen Dosen ist zu Beginn des weiblichen Zyklus dafür verantwortlich, dass eine Eizelle heranreift und nach dem Eisprung von einem Spermium befruchtet werden kann. Nach dem Eisprung regt der Rest des geplatzten Ei-Bläschens (Follikel) dann zusätzlich die Produktion von Gestagen an. Während das Östrogen die Gebärmutterschleimhaut aufgebaut hat, soll das Gestagen nun eine eventuelle Schwangerschaft unterstützen: Dazu gehört, dass sich die Gebärmutterschleimhaut so verändert, dass sich kein zusätzliches Ei mehr einnisten kann und auch der Schleim am Gebärmuttermund sich verdickt und keine Spermien mehr durchlässt. Tritt eine Schwangerschaft ein, steigt der Gestagenpegel. Kommt es nicht zur Befruchtung, fallen beide Hormonpegel ab; die Periode setzt ein.

Die künstlichen Hormone der Pille bewirken nun zweierlei: Durch die anhaltende Östrogenzufuhr wird der Hirnanhangdrüse signalisiert, dass kein weiteres Ei heranreifen muss. Durch das Gestagen wird der Gebärmuttermund mit festem Schleim verschlossen und die Gebärmutterschleimhaut baut sich nicht neu auf.

Kombinationspräparate mit beiden Hormonen gibt es in verschiedenen Ausführungen (Ein-, Zwei- oder Drei-Phasen-Präparat) und inzwischen auch in geringsten Dosierungen (Mikropille). Die Minipille funktioniert anders: Sie enthält nur Gestagen und verhindert nicht den Eisprung, sondern nur das Eindringen der Spermien in die Gebärmutter sowie eine mögliche Einnistung des befruchteten Eis. Der Zeitplan für die Einnahme ist meist strenger als bei anderen Pillen.