Chronik/Welt

Salcher: "Franziskus wird noch einige Überraschungen liefern"

KURIER: Herr Salcher, Sie haben ein Buch über die Schule, den Tod, die Selbsterkenntnis und seelische Verletzungen geschrieben. Nun wagen Sie einen Blick in die Zukunft der Kirche. Wie schafft man es, in kürzester Zeit vom Schul- zum Kirchenexperten zu werden?

Andreas Salcher: Das war einer der Hauptgründe, warum ich mir Johannes Huber an meine Seite geholt habe. Es ist unmöglich, in kurzer Zeit zum Theologen zu werden. Spiritualität und Religion haben mich immer sehr interessiert. Die Kirche ist die älteste, größte und die umstrittenste Organisation der Welt. Mir war immer klar, dass ich einmal ein Buch über die Kirche schreiben werde. Doch so groß sind die Unterschiede bei meinen Büchern nicht. Wie in all meinen Büchern geht es um den Menschen mit seinen Verletzungen, Ängsten und Hoffnungen. Diesmal wandern wir nicht in unsere Innenwelt, sondern in die Zukunft. Am Ende geht es immer um die Frage: Wie wird sich meine Welt verändern?

Sie kündigen Reformen an, wie die Wahlmöglichkeit beim Zölibat, die schon bald umgesetzt werden. Woher soll der Reformwillen plötzlich kommen?

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Man darf die Kirche nicht unterschätzen. Sie ist im Laufe ihrer Geschichte über viel gewaltigere Gräben gesprungen als den Zölibat. Ich war drei Mal in Rom, habe sehr viele Hintergrundgespräche mit Kirchenmännern geführt, die in den nächsten zehn bis 15 Jahren in Führungspositionen sitzen werden. Fast keiner meiner Gesprächspartner war der Meinung, dass es den Zölibat in zehn Jahren noch gibt. Einerseits wegen des Einbruchs des Priesternachwuchs, andererseits wegen der Doppelmoral. In Südamerika und in Europa haben viele Priester eine Frau. Das hält eine Organisation mit hohen moralischen Ansprüchen in der heutigen Mediengesellschaft auf Dauer nicht durch.

Die Kirche steht auf Grund der Entwicklungen vor der "Alles oder Nichts"-Frage – so auch der Titel Ihres Buches. Sie gehen davon aus, dass sich die Reformkräfte durchsetzen. Wie schaut die Kirche in 50 Jahren aus?

Wir glauben, dass das Christentum zu einer universellen Religion werden kann. Das ist die große Vision des Buches. Es gibt einen Satz von Franziskus, der in einem Interview gefallen ist: "Gott ist nicht katholisch." Wenn ein Papst so einen Satz sagt oder zumindest nicht dementiert – dann ist das schon revolutionär und eine Zukunftsvision. Denn gibt es tatsächlich einen Gott, der Architekt unserer Welt war, dann kann es wohl nur einen geben. Auch der Dalai Lama sagt: Ethik ist wichtiger als Religion. Diese Idee hatte 1990 auch schon Kirchenrebell Hans Küng in seiner Programmschrift "Weltethos". Die Ethik muss der Überbau für alle Religionen sein. Das schafft ein friedliches Zusammenleben.

Papst Franziskus ist nicht mehr der Jüngste. Kann er wirklich Meilensteine schaffen?

Franziskus ist noch viel zuzutrauen und er wird noch einige Überraschungen liefern. Er weiß, dass die Zeit drängt und er kein langes Pontifikat haben wird, deswegen gibt er auch Gas. Franziskus verändert die Strukturen der Kirche ja so stark, dass sie nach seinem Pontifikat nicht mehr umkehrbar sind. Das zukünftige Konklave hat er schon jetzt so radikal verändert, damit ein Rückfall auf einen Papst wie Benedikt XIV. unwahrscheinlich ist. Der Papst stand vor der Wahl: Geht er das Thema Zölibat oder der wiederverheirateten Geschiedenen an und er hat sich bewusst, obwohl es viel heikler ist, für die Geschiedenen entschieden, weil es viel mehr Menschen betrifft und die Absurdität der Situation nicht ertragbar ist.

Was macht Sie so sicher, dass die Kirche in Industriestaaten ein Comeback feiern wird? Sind wir nicht schon zu weit vom Glauben entfernt?

Es stimmt, die Menschen im Westen werden nicht zu dem Kinderglauben und den Hirtenmärchen zurückkehren. Aber es gibt ein Grundbedürfnis nach Spiritualität. Und hier kommt man zur springenden Frage: Wie geht die Kirche mit Spiritualität um? Die Kirche muss es schaffen, die Mystik der Spiritualität zu behalten, aber gleichzeitig die Vereinbarkeit mit der Wissenschaft schaffen. Soll heißen: Die Kirche wird dann attraktiv für die Menschen im Westen, wenn sie eine Spiritualität bieten kann, wo man als aufgeklärter Mensch nicht seinen Verstand abgeben muss.

Wird die Kirche gegen islamischen Fundamentalismus bestehen können?

Da vertreten Johannes Huber und ich eine andere Meinung als viele Experten. Es gibt schon jetzt Indizien, dass der Fundamentalismus sehr bald seinen Höhepunkt erreichen wird. Fundamentalismus basiert auf Armut, Analphabetismus und auf einer traditionellen Stammesgesellschaft. In den nächsten 20 Jahren lösen sich dieses Säulen aber auf. Die Bildung kann dank Internet und Smartphones nicht verhindert werden. Es gibt eine Landflucht und den Trend zu Megacities. Der Wohlstand hat sich in den vergangenen 50 Jahren weiterentwickelt, auch wenn man das auf den ersten Blick nicht glaubt. Dieses drei Kräfte werden dem Fundamentalismus die Wurzeln entziehen.

Wie wird es mit der Position der Frauen weitergehen?

Der Ausschluss der Frauen ist ein Kernproblem. Aber das Priesteramt für Frauen zu öffnen, ist noch in weiter Ferne. Es ist die Angst vor Sexualität und der Spiritualität der Frau. Das sitzt tief in der DNA der Kirche. Bis die Kirche diese Ängste überwindet wird es dauern. Das Dilemma ist, ändert sich nichts, dann verliert die Kirche die Frauen und in Folge auch die Kinder. Dann befindet sich die Kirche in einem echten Negativ-Szenario. Die Rückgewinnung der Frauen ist die zentrale Überlebensfrage für die Zukunft.

Das muss ihm erst einmal jemand nachmachen: Jedes Jahr ein Bestseller – dieses Kunststück gelingt Andreas Salcher nun schon seit sieben Jahren. Eines beweist der Autor mit jedem Buch: Er besitzt das Gespür, welche Themen seine Leserschaft gerade bewegen. Fundamentalismus, Flüchtlingskrise und die Frage wie geht es mit der Kirche und dem Abendland weiter – sind derzeit die brennenden Themen. Treffsicher präsentiert Salcher nun sein bisher mutigstes Buch mit dem Titel Alles oder Nichts (ecowin-Verlag, um 21,95 Euro) über die Zukunft der Kirche.

Gemeinsam mit Johannes Huber, dem Hormonspezialisten und ehemaligen Sekretär des verstorbenen Kardinal König, skizziert Salcher spannende 20 Jahre in der Kirchengeschichte.

Das entworfene Szenario, das sich wie ein Roman liest, versteht das Autorenduo als "Science Faction" – aber nicht "Science Fiction". Denn es basiert auf 80 Gesprächen mit Insidern der Kirche, darunter einflussreichen Kurienkardinälen, Bischöfen, Äbten, Theologen, Jesuitenpatres von fünf Kontinenten, langjährigen Vatikanjournalisten ebenso wie einfachen Priestern und Ordensschwestern.

Die Conclusio der Autoren: Papst Franziskus und seine beiden Nachfolger (der Erste stammt aus den USA, der andere aus Indien) werden die Kirche in die Moderne führen. "Scheitern sie allerdings am Widerstand der Konservativen, was immer passieren kann, dann wird die katholische Kirche zu einer Sekte, die völlig irrelevant ist ", meint Salcher .

Drei entscheidende Stationen werden die Kirche wieder zu einem Hafen für Menschen werden lassen, die auf der Suche nach Gott sind. Und ganz unüblich für die Kirche: Für die folgenden Entscheidungen benötigt sie keine Jahrhunderte.

Laien als Kardinäle
Vor Franziskus liegt eine Herkulesaufgabe. Gegen den Widerstand der Kurie will er die Kirche öffnen. In einer historischen Rede am Petersplatz verkündet der Papst aus Argentinien, dass künftig auch Laien die Kardinalswürde erlangen können. Dabei beruft sich Franziskus auf den Ursprung der Kirche, wo das durchaus üblich war. Wie in der Ostkirche wird es für die künftigen Priester eine Wahlmöglichkeit beim Zölibat geben. Und "last but not least" wird er die Kirche auch für die wiederverheirateten Geschiedenen öffnen.

Ein Amerikaner als Papst
Nach Franziskus wird der erste Amerikaner zum nächsten Papst gewählt. Statt Soutane trägt er weiße Hosen. Seine zentrale Rolle wird der Kampf gegen den Fundamentalismus und die Gotteskriege sein.

Neues Konzil 2035
Fünf wissenschaftliche Durchbrüche werden die Welt spalten, die zumindest heute noch nach Utopie klingen: Der Mars wird besiedelt. Die Lebenszeit des Menschen verdoppelt sich. Es gelingt die Erschaffung künstlichen Lebens. Der Schwangerschafts-Code wird entschlüsselt und das Bewusstsein des Menschen wird sich explosionsartig erweitern. Die Kirche muss Antworten auf diese Evolution finden.

Mittlerweile steht ein Priester aus Indien als Oberhaupt der Kirche vor. Er überrascht die Welt mit dem dritten vatikanischen Konzil, wo die Kirche beschließt, das Spannungsfeld Kirche und Wissenschaft und die Grenzen des Eingriffs in die menschliche Natur zu definieren.