Chronik/Welt

Obama: "Newtown, du bist nicht allein"

Wir sind hier, um 20 wunderbare Kinder und sechs großartige Erwachsene zu betrauern, die in einer Schule starben, die jede Schule in Amerika hätte sein können": Am Sonntagabend (Ortszeit) war US-Präsident Barack Obama bei den Eltern der Opfer von Newtown bei einer ökumenischen Trauerfeier im Auditorium einer High School. "Eure verletzten Herzen kann niemand heilen. Aber welche Hilfe wir auch immer geben können, um euer Los zu lindern, werden wir geben! Newtown, du bist nicht allein." Die Stadt habe sich vorbildlich verhalten. "Im Angesicht des unbeschreiblichen Bösen habt ihr aufeinander Acht gegeben." Als er die Namen der getöteten Kinder vorliest, geht bei jedem ein Schluchzen durch den Saal. (Video: Obamas Rede in zwei Teilen)

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In seiner ebenso bewegenden wie kraftvollen Rede sagte Obama, es sei das vierte Mal in seiner Präsidentschaft, dass er nach einer Massenschießerei in eine trauernde Gemeinde komme, um Trost zu spenden. "Wir können das nicht mehr tolerieren. Diese Tragödien müssen enden", forderte der US-Präsident ein entschlossenes Handeln gegen Waffengewalt.

Der Präsident kündigte zwar nicht direkt Schritte zu einer Verschärfung von Waffengesetzen an. Aber er versprach: "In den kommenden Wochen werde ich meine Macht im Amt ... zu Bemühungen nutzen, die darauf abzielen, weitere Tragödien wie diese zu verhindern."

Der 20-jährige Adam Lanza hatte am vergangen Freitag in einer Volksschule in Newton 20 Kinder im Alter von sechs und sieben Jahren sowie sechs Erwachsene erschossen, bevor er sich selbst tötete. Auch seine Mutter wurde erschossen in ihrem Wohnhaus aufgefunden. Über das Motiv des Amokläufers herrscht Unklarheit.

Stadt in Trauer

Obama traf auf ein Städtchen, das trauert und diese Trauer auch zeigt. Überall hängen Plakate, auf den meisten steht "Betet für Newtown" oder auch "Betet für die Kinder". Im örtlichen Diner ist der Weihnachtsschmuck mit schwarzen Bändern überhängt, die Kellnerinnen tragen schwarze Schleifen an ihren Schürzen. Nicht weit davon stehen 20 gebastelte Engel auf einem Rasen, Blumensträuße, Kerzen und immer wieder Teddybären finden sich an fast jeder Ecke der kleinen Stadt.

"Es ist gut, dass der Präsident da war", sagt Nancy Elis. "Er ist ein Vater und er fühlt jetzt genau wie wir." Die 66-Jährige hat selbst drei Kinder in Newtown großgezogen - und auf die Volksschule geschickt. "Selbst in Deutschland trauern die Menschen mit uns", fragt sie ungläubig und kann vor Tränen kaum sprechen. "Es hilft ein bisschen und gibt Trost, dass so viele Menschen an uns denken. Zumindest uns hilft es. Die Familien, die ein kleines Kind verloren haben, können sicher durch nichts Trost finden."

"Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich will es mir nicht vorstellen", sagt Bella Cristovao. Sie schiebt ihren Sohn Danny im Kinderwagen an den Blumen und Kerzen vorbei und der Eineinhalbjährige lächelt ein bisschen scheu. "Lasse uns gut auf ihn aufpassen", sagt sie leise zu ihrem Mann und geht langsam davon. Ein andere Mutter zeigt ihrem vielleicht dreijährigen Sohn die mit Spielsachen geschmückten Weihnachtsbäume. Als er fragt, ob die Kinder denn damit spielen kommen würden, bricht sie in Tränen aus und zieht das Kind fest an sich. Der Kleine lässt es etwas ratlos mit sich geschehen.

Am Montag sollten in Newtown die ersten Beisetzungen stattfinden, zuerst die von Noah Pozner. Seine Zwillingsschwester hat das Massaker überlebt. Er starb am siebten Tag von Chanukka, dem jüdischen Lichterfest. Noah war das jüngste der getöteten Kinder. Erst vor drei Wochen hatte er seinen sechsten Geburtstag gefeiert.

Suche nach Motiv

Die Polizei in Newton hat am Sonntag indes zugeben müssen, dass das Motiv des Täters, der mittlerweile offiziell als Adam Lanza identifiziert wurde, weiter im Dunkeln liegt. Aufschluss über das Motiv des 20-Jährigen erhofft sich die Polizei von Unterlagen, die im Wohnhaus des Todesschützen sichergestellt wurden. Lanza soll Berichten von Nachbarn und Bekannten zufolge in Newtown aufgewachsen sein. Er wird als klug, sehr scheu und introvertiert beschrieben. "Er war komisch als Kind, aber er war ruhig", sagte eine frühere Klassenkameradin. "Wir haben seine echte Persönlichkeit nie gekannt." Irgendwann in der siebten oder achten Klasse sei der Schüler "vom Radar verschwunden", sagte die 20-jährige Megan.

Wie Paul Vance von der Staatspolizei in Connecticut mitteilte, gab Lanza Hunderte von Schüssen ab - und hatte noch mehrere hundert Schuss Munition, als er sich selbst tötete. Bereits am Samstag hatte der zuständige Gerichtsmediziner mitgeteilt, dass die getöteten zwölf Mädchen und acht Jungen, fünf Lehrerinnen und eine Schulpsychologin, je bis zu elf Mal von Kugeln getroffen worden seien. Sie hätten "verheerende Verletzungen" aufgewiesen, sagte der leitende Gerichtsmediziner H. Wayne Carver sichtlich erschüttert am Samstag: "Es ist das schrecklichste, das ich in mehr als 30 Berufsjahren gesehen habe. Und für meine Kollegen gilt das gleiche".

Der Sender NBC berichtete unter Berufung auf Polizeikreise, Lanza habe zuerst in Newtown seine Mutter erschossen und sei dann in deren Auto zur Schule gefahren. Um das dortige Sicherheitssystem zu umgehen, habe er ein Fenster zertrümmert und sei dann ins Gebäude geklettert. Zunächst seien die Direktorin und die Schulpsychologin auf einem Flur erschossen worden. Danach habe der Schütze dann in zwei Klassenzimmern alle Menschen erschossen, die er darin vorfand.

Erstmals meldeten sich auch Eltern der Opfer öffentlich zu Wort und sprachen über den schrecklichen Verlust (siehe Galerie).

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Mutter war Waffennärrin

Die Mutter des Amokläufers war nach einem Bericht der New York Times eine Waffennärrin. Sie habe ihren Sohn zu Schießständen mitgenommen. "In einer Kneipe am Ort erzählte sie mitunter von ihrer Waffensammlung", heißt es in dem Bericht am Sonntag. Die 52-Jährige war am Freitag ermordet entdeckt worden, bevor Lanza an einer Volksschule im US-Bundesstaat Connecticut 20 Kinder und sechs Erwachsene erschoss.

In dem Zeitungsbericht hieß es unter Berufung auf Informationen von Ermittlern, dass die Mutter des Schützen fünf Waffen besessen habe. Diese seien auf ihren Namen registriert gewesen. Die drei halbautomatischen Waffen, die in der Schule in der Nähe der Leiche des Schützen entdeckt wurden, liefen ebenfalls auf ihren Namen. Laut New York Times besaß die Frau zudem noch zwei Jagdgewehre.

Die Frau sei seit 2008 von ihrem Mann geschieden und habe mit dem Sohn zurückgezogen in einem großen Haus im Kolonialstil in Newtown gelebt. Sie habe Schwierigkeiten gehabt, mit psychischen Problemen ihres Sohnes fertig zu werden, schreibt die Zeitung. Die Mutter habe ihren Sohn für einige Zeit aus einer Schule in der Stadt genommen und daheim unterrichtet, weil sie mit der Schule nicht zufrieden gewesen sei. Welche Schule ihr Sohn besuchte, blieb aber weiter offen.

Vater bestürzt

Peter Lanza, Vater des mutmaßlichen Amokläufers, hat mit Bestürzung auf das Blutbad reagiert. In einer am Samstag von dem lokalen Fernsehsender WFSB verbreiteten Erklärung, bekundet er Trauer und Erschütterung angesichts der Tat seines Sohnes Adam. "Unser Herzen sind bei den Familien und Freunden, die Angehörige verloren haben, und bei allen, die verletzt wurden. Unsere Familie trauert mit allen denjenigen, die von dieser gewaltigen Tragödie betroffen sind", schreibt Lanza. Es gebe "keine Worte", um den Schmerz zu fassen.

Mit dem Amoklauf ist auch die Debatte um schärfere Waffengesetze in den USA wieder voll entbrannt. Schon kurz nach der Tragödie kamen vor dem Weißen Haus in Washington dutzende Menschen zusammen und entrollten Plakate, auf denen Parolen wie "Schützt unsere Kinder - verbietet Waffen jetzt" standen. Immer wieder wurde nach Schießereien in den USA über ein restriktiveres Waffenrecht gestritten, passiert ist aber nie etwas. Präsident Barack Obama wagte sich bei dem heiklen Thema auch dieses Mal nur vorsichtig aus der Deckung. Dafür äußerte sich etwa auf dem erzkonservativen TV-Sender Fox News der frühere republikanische Präsidentschaftsbewerber Mike Huckabee. Mit strengeren Gesetzen lasse sich ein derartiges "Blutbad" nicht verhindern, sagte er. Stattdessen brachte er als Rezept mehr Gott und Religion in den Schulen ins Gespräch.

Hollywood reagiert auf das Massaker in einer Grundschule in Connecticut: Die Premiere des neues Tom-Cruise-Thrillers "Jack Reacher", sowie der Komödie "Parental Guidance" wurden verschoben. Fox teilte außerdem mit, wegen des möglicherweise heiklen Inhalts würden die neuesten Folgen von "Family Guy" und "American Dad" vorerst nicht gesendet.

In seiner Rede vor Angehörigen sagte Obama, es sei das vierte Mal in seiner Präsidentschaft, dass er nach einer Massenschießerei in eine trauernde Gemeinde komme, um Trost zu spenden. "Wir können das nicht mehr tolerieren. Diese Tragödien müssen enden", sagte Obama.

Der Präsident kündigte zwar nicht direkt Schritte zu einer Verschärfung von Waffengesetzen an. Aber er versprach: "In den kommenden Wochen werde ich meine Macht im Amt ... zu Bemühungen nutzen, die darauf abzielen, weitere Tragödien wie diese zu verhindern." Er stellte die Frage, ob die USA als Nation wirklich diese Pflicht erfüllten. "Die Antwort ist nein. Wir tun nicht genug."

Obama räumte ein, dass "kein einziges Gesetz oder Bündel von Gesetzen Böses ausrotten kann". Aber das sei keine Entschuldigung für Untätigkeit. "Ganz sicher können wir es besser machen als bisher." Es gebe keine andere Wahl.

Der Amoklauf an einer Grundschule in den USA mit 27 Toten hat weltweit Bestürzung ausgelöst. Politiker und der Papst äußerten sich zu dem Verbrechen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte in einer am Samstag verbreiteten Mitteilung: „Die Nachrichten aus Newtown machen mich tieftraurig. Wieder einmal stehen wir voller Entsetzen vor einer Tat, die wir nicht begreifen können“, erklärte Merkel in einer am Samstag verbreiteten Mitteilung. „Der Gedanke an die ermordeten Schüler und Lehrer macht mir das Herz schwer. Mein tiefes Mitgefühl gilt den Angehörigen, ihnen wünsche ich Kraft und Zuspruch, mögen sie in ihrem Schmerz nicht alleine bleiben.“

Papst Benedikt XVI. bezeichnete den Amoklauf als „sinnlose Tragödie“. Er übermittelte in einem Telegramm an das Bistum Bridgeport in Connecticut seine tiefe Trauer, wie der Vatikan am Samstag mitteilte. Der Papst bitte Gott, die Trauernden zu trösten. Er sei sofort über die Bluttat informiert worden, hieß es.

Königin Elizabeth II. zeigte sich ebenfalls „tief geschockt“ und betroffen. „Insbesondere die Nachricht, dass so viele der Opfer Kinder sind“, habe sie „traurig“ gemacht, schrieb die Queen laut britischer Nachrichtenagentur PA am Freitagabend an Obama.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon wandte sich in einem Schreiben an den Gouverneur von Connecticut. Kinder ins Visier zu nehmen, sei „abscheulich und undenkbar“, hieß es in dem am Freitagabend (Ortszeit) in New York verbreiteten Schreiben an Dan Malloy. Auch Kremlchef Wladimir Putin schickte ein Beileids-Telegramm an Obama.