Chronik/Welt

Anwohner gegen Touristen: Der neue Häuserkampf

Ahmet Caliskan mag eigentlich nicht mehr vor die Mikrofone treten, das machen mittlerweile andere für ihn. Jeden Mittwoch versammeln sich vor seinem Geschäft in Berlin-Kreuzberg Hunderte, denen es wie ihm geht: Sie gehen auf die Straße, weil sie aus ihren Wohnungen gedrängt werden – weil Immobilienfirmen daraus lukrative Mietobjekte machen wollen.

"Unser Laden"

Bizim Bakkal, unser Laden, so heißt das Geschäft, das Caliskans Familie seit 28 Jahren im Wrangelkiez führt. Als der 55-Jährige hierher zog, nannte man die Gegend "Little Istanbul"; er verkaufte Lebensmittel an Landsleute aus der Türkei. Heute stammen seine Kunden aus aller Welt. Die Gegend ist in jedem hippen Reiseführer zu finden: Der Wrangelkiez, einst ein armer Stadtteil am Rande der Mauer, hat nun "zügig realisierbares Wertsteigerungspotenzial", wie Makler sagen. Mit diesen Worten preist auch der Investor, der das Haus gekauft hat, in dem Caliskan Mieter ist, sein Projekt an.

Gentrifizierung oder Touristifizierung nennt man das. Dort, wo Autonome einst mit Besetzungen ihren Häuserkampf führten, sollen nun Altmieter weichen – wenn sie nicht schon freiwillig ausgezogen sind. Die Mieten in der Wrangelstraße sind seit 2009 um 80 Prozent gestiegen. Leisten kann sich das nur, wer gut situiert oder auf Durchreise ist – in den Objekten entstehen oft temporäre Bleiben für Touristen.

Dass der Wohnraum dabei für echte Mieter knapper wird, ist für Berlin mittlerweile ein "dramatisches Problem", wie Rainer Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, sagt. "In Kreuzberg gibt es vier Mal mehr Ferienwohnungen als normale Mietangebote." Sucht man auf der Internetplattform Airbnb nach dem beliebten Wrangelkiez, erhält man mehr als 300 Angebote – "echtes Kiezleben" soll einem da vermittelt werden, eben mit jenem Flair, das Läden wie Bizim Bakkal verströmen.

17.000 schwarze Schafe

Im ganzen Stadtgebiet soll es 23.000 Wohnungen privater Anbieter geben, 17.000 davon ohne Genehmigung, hat Stephan von Dassel jetzt erhoben. Der grüne Stadtrat in Mitte macht seit einem Jahr Jagd auf die schwarzen Schafe – seit 2014 müssen private Ferienwohnungen nämlich angemeldet und auch steuerlich registriert sein. Die Krux dabei: Die Nachforschung ist laut Datenschützern bedenklich, weshalb meist nur bei Meldung von Nachbarn eingeschritten wird. Und obwohl Strafen von bis zu 50.000 Euro drohen, meldet sich von sich aus niemand an: Eine Genehmigung gibt’s nämlich nur, wenn im Bezirk auch genügend Wohnraum vorhanden ist. Und der ist in den guten Lagen spärlich – auch wegen der Touristenunterkünfte.

Ironie des Schicksals, in doppelter Hinsicht: Die Auswirkungen der Wohnungsknappheit spüren oft jene, die selbst dafür gesorgt haben, dass ihr Bezirk lebenswerter wird – wie Ahmet Caliskan.

Immerhin, sein Protest hat etwas bewirkt:. Die Kündigung des Mietvertrages wurde jetzt rückgängig gemacht – er kann aber noch immer jederzeit wieder fristlos gekündigt werden.

Am nächsten Mittwoch wird wieder demonstriert.