Chronik/Welt

Im Schatten der sozialen Revolution

Rosa Parks blieb sitzen. Martin Luther King jr. demonstrierte. Barack Obama wird 2009 als erster schwarzer Präsident der USA vereidigt. Es liest sich, wie die Erfüllung des Traumes vieler Bürgerrechtler der 50er und 60er Jahre - nimmt man jedenfalls an. Dass dem nicht so ist, zeigten nicht zuletzt die Rassenunruhen in Ferguson oder die Polizeigewalt gegen Schwarze.

Doch der Reihe nach.

Es fing mit einem Boykott an...

Als sich die schwarze Näherin Rosa Parks im Dezember 1955 geweigert hatte, ihren Sitzplatz für einen weißen Fahrgast zu räumen, fiel der Startschuss einer 13 Jahre andauernden Bürgerrechtsbewegung in den USA. Ihr "ordnungswidriges Verhalten" führte zum Busboykott in Montgomery, Alabama.

Busse, die morgens stets voll besetzt waren, blieben 381 Tage lang leer. 42.000 Afroamerikaner mieden öffentliche Verkehrsmittel, gingen zu Fuß, fuhren mit Taxis oder organisierten trotz enormer Widerstände und Schikanen Fahrgemeinschaften.

Im November 1956 bestätigte das Oberste Gericht, dass die Rassentrennung verfassungswidrig und die Segregation dementsprechend aufzuheben sei. Ende Dezember stiegen Afroamerikaner in Montgomery zum ersten Mal in nicht-getrennte Busse.

... und löste eine Kettenreaktion aus

Der Erfolg des Boykotts löste eine Art Kettenreaktion ähnlicher Aktionen aus. Afroamerikaner haben nun begonnen, sich neu zu organisieren. Mit vielfältigen Mitteln des gewaltlosen Widerstands wurde auf die rassistische Unterdrückung aufmerksam gemacht. Eine neue, kraftvolle Bürgerrechtsbewegung war geboren und brachte auch den redegewandten Pastor Martin Luther King jr. hervor.

Der damals 26-jährige King faszinierte mit seinen charismatischen Reden die Menschen. Hunderttausende schlossen sich seinen landesweiten Protesten an. Mit Demonstrationen, Sit-ins und anderen Formen des zivilen Widerstandes kämpfte man für die Gleichberechtigung von Schwarz und Weiß.

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Um den Druck zu erhöhen und die Rassendiskriminierung ins Bewusstsein der US-Amerikaner zu hieven, kam es am 28. August 1963 zum "Marsch auf Washington". Kings Stimme schallte durch die Lautsprecher. Es sei ganz still gewesen, sagt die Bestseller-Autorin Deborah Tannen dem KURIER. Sie war eine von rund 250.000 Menschen, die Kings legendäre "I have a dream"-Rede in Washington miterlebten.

Ein Jahr nach dem "Marsch auf Washington" schien alles im Sinne der Bürgerrechtsbewegung zu laufen. Der damalige US-Präsident Lyndon B. Johnson läutete mit der Unterzeichnung des Civil Rights Act (zum Download) im Juli 1964 eine neue Ära in den USA ein. Von nun an war es verboten, Schwarze den Zutritt in öffentliche Einrichtungen zu verwehren oder ihnen gesonderte Plätze zuzuweisen. Auf dem Papier war die rassistische Segregation somit beendet.

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Doch die überschwängliche Euphorie wich der kargen Ernüchterung. King musste einsehen, dass die Schaffung neuer Gesetze, die Lage der Schwarzen nicht wesentlich verbesserte. Was nützt es, zusammen mit Weißen in einem Raum speisen zu dürfen, wenn einem das Geld fehlt, das Essen zu bezahlen? US-Bürgerrechtler konzentrierten sich nun auf den Kampf gegen Armut und Krieg, die sowohl Ergebnis als auch Ursache von Rassismus seien.

Zu dieser Zeit hatte sich auch die Black Power-Bewegung formiert, die Kings gewaltlosen Widerstand kritisierte und für eine eigenständige afroamerikanische Gesellschaft eintrat.

Die Bürgerrechtsbewegung, die in den Jahren große Erfolge feiern konnte, zersplitterte in immer kleinere, nationalistische Gruppen. Das Ergebnis waren die "long hot summers" der 60er: Es kam zu Rassenunruhen. Zahlreiche Menschen wurden getötet und verletzt.

Doch das Ende war unvermeidlich

Es sollte noch schlimmer kommen. Als Martin Luther King jr. am 4. April 1968 erschossen wird, erschütterten heftige Krawalle in insgesamt 125 Städte (in 29 Bundesstaaten) die USA. Die Welt wachte auf und sagte ihre Unterstützung zu.

Doch die ohnehin angeschlagene Bewegung konnte den Tod ihrer Ikone nie überwinden. Damit war das Ende einer Ära nach 13 Jahren besiegelt.

Noch immer diskriminiert

Eine Frage, die sich 60 Jahre nach dem historischen Busboykott in Montgomery stellt: Was blieb von der US-Bürgerrechtsbewegung? Ein nüchterner Blick auf mehrere Studien des US-amerikanischen Pew Research Center zeigt, dass es Afroamerikanern wirtschaftlich und sozial im Großen und Ganzen immer noch deutlich schlechter geht als Weißen.

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Lebenserwartung: 4 Jahre Differenz

Und das fängt bereits bei der Bildung an. Im Gegensatz zu Weiße schaffen Schwarze besonders häufig keinen Schulabschluss, und falls doch, dann ist dieser niedriger als jener der weißen Bevölkerung. So ist es auch kein Wunder, dass schwarze US-Bürger ein viel geringeres Einkommen haben als weiße. Mehr als ein Viertel der Bevölkerung lebt in Armut, aber nur ein Zehntel der Weißen sind davon betroffen.

Daten aus dem US-Arbeitsministerium belegen ebenfalls die Kluft: Die Arbeitslosigkeit unter Schwarzen war im zweiten Quartal 2015 fast doppelt so hoch wie bei Weißen - 9,1 zu 4,6 Prozent. In den vergangenen 50 bis 60 Jahren blieb der Abstand konstant - mit einigen Ausnahmen, wie im Sommer 2009, als die Zahl weißer Arbeitsloser wegen der Finanzkrise rasant anstieg.

Am vielleicht deutlichsten zeigt sich die Benachteiligung von Schwarzen in der Lebenserwartung. Während ein Neugeborenes einer afroamerikanischen Familie eine Lebenserwartung von 75 Jahren hat, beträgt die Lebenserwartung eines weißen Babys 79 Jahre. Die Differenz sei in den vergangenen Jahrzehnten zwar kleiner geworden, doch die Diskriminierung sei eklatant, resümieren die Forscher vom Pew Research Center.

Abschlussquote gestiegen

Umso erfreulicher sind die wenig positiven Entwicklungen der vergangenen Jahre: So ist beispielsweise die Abbrecher-Quote bei schwarzen Highschool-Schülern gesunken, während die weiße Abbrecher-Quote relativ konstant blieb. 1964, ein Jahr nach dem "Marsch auf Washington", betrug die Highschool-Abschlussquote bei Afroamerikanern 27 Prozent, 2012 lag sie bereits bei 93 Prozent. Vereinzelt besetzen Afroamerikaner auch Top-Positionen in der Privatwirtschaft und bekleiden hohe politische Ämter.

Die breite Masse ist das freilich nicht. Viele der rund 30 Millionen schwarzen US-Bürger haben noch heute im Alltag mit rassistischen Vorurteilen zu kämpfen und fühlen sich ungleich behandelt.

Laut einer umfassenden Umfrage ist nur etwa ein Drittel der Schwarzen mit dem zufrieden, was die Regierung in den vergangenen 50 Jahren für die Gleichberechtigung getan hat. Auf die Frage, was noch passieren muss, antworteten 80 Prozent: "Sehr viel."

Vom Rassismus...

Neben den offensichtlich rassistischen Tendenzen zeigt auch der latente Rassismus im Alltag (bei Bewerbungsgesprächen, in der Schule, in Massenmedien, etc.), dass der "Amerikanische Traum" weiterhin eine Illusion bleibt. Schwarze werden auch heute noch gefürchtet, verdächtigt und im Zweifel für schuldig befunden - das belegen zahlreiche Studien, die sich mit der Polizeigewalt gegen Schwarze beschäftigten.

Man kann den Eindruck gewinnen, dass sich viele Menschen zu früh über die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung gefreut haben. Denn Tatsache ist: Die Hautfarbe bestimmt noch immer zu weiten Teilen das Leben der Menschen in den USA.

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Rosa Parks, Martin Luther King jr. und all die namenlosen Demonstranten von einst haben zwar den Anstoß zu einer sozialen Revolution gegeben. Ihr Traum ist aber noch lange nicht in Erfüllung gegangen: "Wir sind vom Rassismus nicht geheilt" (Barack Obama, 2015).