Drei Tage Staatstrauer nach Brandkatastrophe in Griechenland
- Zahl der Toten stieg immer weiter an, derzeit liegt sie bei 74 Opfern
- Besonders betroffen von den Bränden ist der Badeort Mati
- Mati liegt etwa 29 Kilometer von der griechischen Hauptstadt Athen entfernt
- Die Behörden baten angesichts der Lage um Hilfe bei anderen Ländern der EU
- Das Feuer ist das verheerendste seit der Brandkatastrophe auf der Halbinsel Peloponnes im August 2007
- Die Ursache des Feuers war zunächst nicht bekannt
Das schlimmste Flammeninferno in Griechenland seit mehr als einem Jahrzehnt hat mindestens 74 Menschen getötet, darunter viele Kinder. Sie starben, weil Waldbrände am späten Montagnachmittag rasend schnell durch den kleinen Badeort Mati etwa 29 Kilometer östlich der Hauptstadt Athen fegten. Vielen versperrten hohe Flammen und dichte Rauchschwaden den Weg zum Meer. Hunderte Menschen flohen dorthin, um von der Küstenwache und vorbeifahrenden Booten aufgenommen zu werden.
Von den rund 170 verletzten Menschen schweben viele in Lebensgefahr, wie das griechische Staatsradio (ERT) unter Berufung auf Rettungskräfte und Krankenhäuser der Hauptstadtregion Dienstagfrüh berichtete. Am Dienstagnachmittag waren die Brände aber großteils unter Kontrolle.
Allein auf einer Klippe unweit vom Strand fanden Rettungskräfte 26 Leichen, darunter die von Jugendlichen, die sich teilweise wohl umklammert hatten und dicht nebeneinander lagen. "Sie hatten versucht, eine Fluchtgasse zu finden, aber leider haben es diese Menschen und ihre Kinder nicht mehr rechtzeitig geschafft", sagte der Leiter des Roten Kreuzes in Griechenland, Nikos Economopoulos, dem Sender Skai TV. "Instinktiv haben sie sich umarmt als sie das Ende nahen sahen."
Ein Stadtrat in Rafina, einem Nachbarort von Mati, sprach von einer noch höheren Opferzahl. "Wir haben 60 Tote gezählt", sagte Myron Tsagarakis und bestätigte damit entsprechende Medienberichte. Nach polnischen Angaben zählten auch eine Polin und ihr Sohn zu den Todesopfern. Berichte über österreichische Opfer gab es zunächst nicht.
Fischer, die Küstenwache und Urlauber mit Schlauchbooten konnten mehr als 700 Menschen in Sicherheit bringen, die an Stränden und felsigen Küstenabschnitten Zuflucht vor den Flammen gesucht hatten. Tausende Menschen übernachteten im Freien, in Autos und Sporthallen, wie das Staatsfernsehen berichtete.
"Mati existiert nicht mehr"
In Mati hatte sich das Feuer bei Windgeschwindigkeiten von etwa hundert Stundenkilometern rasend schnell ausgebreitet, wie Feuerwehr-Sprecherin Stavroula Maliri erklärte. "Mati existiert nicht mehr", sagte der Bürgermeister von Rafina, Evangelos Bournous. Mehr als tausend Gebäude sowie 300 Autos seien durch das Feuer beschädigt worden. In der auch bei ausländischen Touristen beliebten Region wurde der Notstand ausgerufen.
Wegen der schnellen Ausbreitung der Flammen waren zahlreiche Bewohner an die Küste geflohen, um sich vom Wasser aus retten zu lassen. Viele warteten stundenlang eingehüllt von Aschewolken am Strand. 715 Menschen wurden schließlich mit Booten nach Rafina gebracht, wie die Regierung mitteilte. Mindestens fünf Menschen seien auf der Flucht vor dem Feuer im Meer gestorben. Nach möglichen weiteren Opfern wird noch gesucht.
Eingeschlossene Menschen
Die Mehrheit der Opfer gab es dem Sprecher zufolge rund um den Badeort Mati, 40 Kilometer nordöstlich von Athen. Die Menschen seien in ihren Häusern oder Autos von den Flammen eingeschlossen worden.
Fernsehreporter vor Ort berichteten, dass die Zahl der Opfer noch deutlich steigen dürfte, da in verschiedenen Orten im Osten Athens immer neue verkohlte Leichen entdeckt würden. Im Großraum Athen wurde der Notstand ausgerufen.
Reporter des Nachrichtensenders Skai berichteten, in einem Haus seien die Leichen von zwei Frauen mit ihren Kindern entdeckt worden. "Die Frauen hatten ihre Kinder in ihrer Verzweiflung umarmt, um sie vor den Flammen zu schützen", sagte ein Reporter des Senders. Auch die Leiche eines weiteren Kleinkindes sei entdeckt worden. Die Feuerwehr wollte am Vormittag eine Bilanz ziehen. Informationen über Touristen unter den Opfern lagen zunächst nicht vor.
Der Brand in Mati war am Dienstag eingedämmt, allerdings wütete 50 Kilometer westlich von Athen im Küstenort Kineta ein Feuer, das zahlreiche Häuser und Autos zerstörte. In der Nähe der Stadt Marathon wurden rund 600 Kinder aus einem Feriencamp in Sicherheit gebracht.
Mehr als 3.000 Feuerwehrleute, fünf Flugzeuge und zwei Hubschrauber waren im Einsatz gegen die Flammen. Regierungssprecher Dimitris Tzanakopoulos erklärte, in der Region Attika seien gleichzeitig 15 Brände an drei verschiedenen Fronten ausgebrochen.
"Schlimmstes Szenario"
In der Hafenstadt Rafina drangen die Flammen bis in den Stadtkern hinein. Tausende Menschen flohen aus der Region. Hunderte retteten sich vor den Flammen ins Meer. Stundenlang zogen Fischer und vorbeifahrende Schiffe die Menschen aus den Fluten. Im Hafen von Rafina zeigten Dutzende Menschen Fotos ihrer Verwandten und fragten Passanten, ob sie sie gesehen hätten.
Die Feuer waren so groß, dass Rauchwolken über Athen hingen und die Sonne verdunkelten. In der Region westlich und östlich der Hauptstadt haben Tausende Athener ihre Ferienwohnungen. Mehrere Bürgermeister schilderten Reportern, dass allein im Osten Athens mehr als 200 Häuser und Hunderte Autos zerstört oder beschädigt worden seien.
"Es ist das sogenannte schlimmste Szenario eingetreten", sagte der Chef des griechischen Zivilschutzes, Giannis Kapakis, im Fernsehen. Die Flammen wüteten in einem dicht mit Pinien bewaldeten Gebiet, wo es überall Ferienhäuser gibt. Viele Einwohner flüchteten in Panik, mehrere Kinder-Zeltlager mussten evakuiert werden. Strom, Telefon und Internet fielen in einigen Regionen aus. Wegen der starken Rauchbildung wurden die Autobahn und die Bahnstrecke zwischen Athen und Korinth gesperrt.
Dreitägige Staatstrauer
Ministerpräsident Alexis Tsipras brach wegen der Brände eine Bosnien-Reise ab und eilte nach Athen zurück. "Heute ist Griechenland in Trauer", sagte er in einer Fernsehansprache und rief eine dreitägige Staatstrauer aus. "Meine Gedanken sind bei den Menschen und den Einsatzkräften", sagte er dem griechischen Fernsehsender ERT. Er äußerte den Verdacht, dass Brandstifter hinter den Feuern stecken könnten. Tsipras ordnete an, dass Feuerwehren anderer Regionen sowie das Militär nach Athen zur Hilfe kommen, wie das Staatsradio berichtete. Zudem habe Griechenland andere Länder der EU um Hilfe gebeten, sagte eine Feuerwehrsprecherin am Montagabend.
Derzeit herrschen in Griechenland Temperaturen um die 40 Grad. Zudem wehen in der betroffenen Region Windböen der Stärke sieben. Für die Feuerwehr, freiwilligen Helfer und das Militär kommt erschwerend hinzu, dass sie nach Einbruch der Dunkelheit ohne Hilfe der Löschflugzeuge und Hubschrauber gegen die Flammen kämpfen müssen.
Waldbrände sind in den heißen Sommermonaten in Griechenland keine Seltenheit. Im Jahr 2007 waren dabei insgesamt 77 Menschen getötet worden.
Die Ursache des Feuers war zunächst nicht bekannt. Die Brandgefahr ist nach dem relativ trockenen Winter derzeit besonders hoch. Allerdings haben mehrere Behördenvertreter erklärt, es sei seltsam, dass viele Großbrände gleichzeitig ausgebrochen seien. Sie wollen daher eine unbemannte Drohne aus den USA einsetzen, um verdächtige Vorkommnisse zu überwachen.
Die Europäische Union aktivierte unterdessen den Zivilschutzmechanismus, um Griechenland bei Bedarf zu helfen. Zypern schickte 60 Feuerwehrleute und Spanien mobilisierte zwei Löschflugzeuge für die Brandbekämpfung in Griechenland. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, die EU werde "keine Mühen scheuen, um Griechenland und dem griechischen Volk zu helfen".
Der zuständige EU-Kommissar Christos Stylianides wollte sich sofort auf den Weg nach Athen machen. Er werde dort die EU-Hilfen koordinieren, die bereits auf dem Weg seien, teilte er mit. Er sei in ständigem Kontakt mit dem griechischen Premierminister Tsipras.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schickte ein Kondolenztelegramm an Tsipras. "Das Leid der betroffenen Menschen berührt uns alle", schrieb sie und bot Deutschlands Hilfe an. Auch aus anderen Ländern wie Portugal, Mazedonien, Bulgarien, Israel und der Türkei kamen Hilfsangebote.
Augenzeuge: "So etwas noch nicht gesehen"
Der Österreicher Peter Eipeldauer lebt seit zehn Jahren in Xylokastro, einer Gemeinde im Norden der griechischen Halbinsel Peloponnes. "Waldbrände kennen wir", sagte er am Dienstag zur APA. "Aber dass es auf so vielen Plätzen gleichzeitig brennt, das kennen wir nicht."
Eipeldauer wollte am Montagabend jemanden vom Flughafen abholen. Gegen 16.00 Uhr machte er sich mit seinem Auto auf den Weg Richtung Athen. Weiter als bis zur Mautstation Korinth kam er aber nicht. "Dort war alles gesperrt, vor uns ein Brand", schilderte der Österreicher. Dann habe sich ein Sturm aufgebaut, "so was habe ich in zehn Jahren nicht gesehen". Eipeldauers Angaben zufolge hätten die Fischer eine Windstärke von zehn bis elf Beaufort gemessen. Der Sturm habe die Funken weitergetragen und "durch den Funkenflug hat sich auch hinter uns ein Brand gebildet", erzählte Eipeldauer. "Wir liefen Gefahr, vom Feuer eingekreist zu werden."
"Wir haben gesehen, der Wind kommt in unsere Richtung", berichtete er weiter. Wir sind dann von der Autobahn abgefahren, "da war natürlich ein Mega-Verkehrschaos". Zum Flughafen habe es kein Durchkommen gegeben, deswegen musste er wieder zurück nach Hause fahren. "Der Zug ist gesperrt, die Straße ist gesperrt. Bis nach Kineta kommt man, weiter nicht", berichtete Eipeldauer. "Auf mehreren Plätzen nach Korinth waren große Feuer in den Bergen", berichtete er von seinen Sichtungen während der Fahrt.
In Xylokastro selbst brenne es auch. "Zwei Kilometer von mir, da oben in den Bergen", erzählte Eipeldauer. "Jetzt fliegt gerade wieder ein Löschflugzeug, hören Sie es?" Den Piloten der Löschflugzeuge sprach der Österreicher seinen tiefsten Respekt aus. "Das sind Teufelskerle", sagte er. "Die Löschflugzeuge nehmen das Wasser vom Meer auf, das ist bei dem Wellengang ein Wahnsinn." Schlimm sei nur, dass die Löschflugzeuge in der Dunkelheit nicht fliegen können und die Feuerwehrmänner mit den Flammen ganz alleine seien. "Wir kennen die Waldbrände, wir gehen damit um", so Eipeldauer. "Natürlich ist es nicht lustig, aber es wird nichts evakuiert, niemand wird panisch, niemand dreht durch."