Notre-Dame: Rund 90 Prozent der Kunstwerke sind gerettet
Rund 90 Prozent der Kunstwerke und Reliquien in Notre-Dame sind nach Angaben eines Versicherungsexperten bei dem verheerenden Brand in der Pariser Kathedrale rechtzeitig vor den Flammen gerettet worden. Der Evakuierungsplan sei minuziös befolgt worden, sagte der Schadensachverständige Michel Honore, der den Domschatz im Auftrag der Versicherer begutachtet, am Mittwochabend.
"Der Plan selbst hat perfekt funktioniert, und deshalb sind die Verluste nicht so groß, wie man hätte befürchten können", sagte Honore in einem Telefongespräch nach einem Treffen mit weiteren Sachverständigen nahe der weltberühmten Kirche, die am Montag in Band geraten war. Er ist für die Begutachtung des Domschatzes ("Tresor") zuständig.
Der Kirchenschatz besteht aus 1.000 bis 1.200 Gegenständen von wertvollen Kelchen über historische Kirchengewänder bis hin zu großformatigen Gemälden. Hilfskräfte hatten das Inventar mit einer Menschenkette vor dem Flammen in Sicherheit gebracht.
Dornenkrone
"Zu den ersten Stücken, die gerettet wurden, gehörten die Dornenkrone und der Nagel vom Kreuz", sagte Honore. "Sie standen ganz oben auf der Liste und wurden vorschriftsgemäß vorrangig herausgebracht." Die meisten großen Gemälde in der Kathedrale sähen unversehrt aus. Restauratoren müssten sie aber nochmals genau begutachten, um zu sehen, ob Ruß, Rauch oder Löschwasser sie nicht doch in Mitleidenschaft gezogen hätten. "Es herrscht große Zuversicht, dass die große Orgel in der Kathedrale nicht beschädigt ist, aber man muss auch hier genau nach Säure-Rückständen schauen", sagte Honore.
Jene Wertgegenstände, die in der Brandnacht in Notre Dame zurückgelassen werden mussten, würden derzeit unter die Lupe genommen. Sie sollen Honore zufolge ins Louvre-Museum gebracht werden. Die geretteten Schätze wurden zunächst ins Rathaus gebracht, sollen aber ebenfalls höchstwahrscheinlich im Louvre landen. Dort könnten sie sicherer aufbewahrt werden.
Notre-Dame gehört seit 1905 dem französischen Staat. Er dürfte daher beim Wiederaufbau den Großteil der finanziellen Last tragen. Der zur französischen AXA gehörende Kunst-Spezialist Axa ART und ein weiterer Versicherer seien aber an der Versicherung der Kunstwerke in der Kathedrale beteiligt, sagte Honore. Nach früheren Angaben sind auch zwei der Firmen, die Teile von Notre-Dame renoviert haben, bei Axa versichert.
Sonderbeauftragter
Präsident Emmanuel Macron hat einen Sonderbeauftragten für den Wiederaufbau der Kathedrale ernannt. Es handelt sich um den 70-jährigen General Jean-Louis Georgelin. Georgelin war Generalstabschef der französischen Streitkräfte und ist Großkanzler der Ehrenlegion. De ehrgeizige Plan von Macron sieht vor, die Kathedrale innerhalb von fünf Jahren wieder aufzubauen.
Steirische Experten bieten Hilfe an
Die steirische Holzwirtschaft sowie das Institut für Holzbau und Holztechnologie der TU Graz wollen Frankreich ihr Know-how für den Wiederaufbau von Notre-Dame anbieten: Die steirische Holzbautechnologie sei weltweit anerkannt, hieß es am Donnerstag aus dem Büro von Agrarlandesrat Johann Seitinger (ÖVP). In den kommenden Tagen werde mit der Österreichischen Botschaft in Paris Kontakt aufgenommen.
"Die Steiermark hat sich mit ihrer innovativen Holzbautechnologie in den letzten 20 Jahren als Weltmarktführer kompliziertester Bauten und Holz-Werkstoffen etabliert. Man denke in diesem Zusammenhang an die Verwendung von Holz für extreme Spannweiten und Belastungen für gewerbliche, industrielle und Wohnbauten", so Seitinger. Es würde für die Steiermark eine große Ehre sein, beim Wiederaufbau mitwirken zu können.
Franz Mayr-Melnhof-Saurau, Aufsichtsratspräsident des Säge- und Bauholzkonzerns Mayr Melnhof Holz, und Gerhard Schickhofer vom Institut für Holzbau und Holztechnologie der Technischen Universität Graz unterstreichen das: "Mittlerweile verteilen sich unser Holzbau-Projekte über die ganze Welt. Unsere Brettsperrholztechnologie ist beispielsweise auch für die komplexesten Konstruktionen einsetzbar und insbesondere statisch den meisten anderen Materialien überlegen. Zudem können auch brandschutztechnisch höchste Anforderungen erfüllt werden. Dem Holzbau sind in puncto Kubatur, Höhe und Form fast keine Grenzen gesetzt", erklärte Mayr-Melnhof-Saurau.
Schickhofer meinte: "Wir verfügen über eine enorme Expertise hinsichtlich der Revitalisierung, der Renovierung und des Wiederaufbaus historischer Holzkonstruktionen und könnten hier sicherlich hilfreich zur Seite stehen." Er verwies auf die Wichtigkeit der Bestandserfassung historisch wertvoller und schützenswerter Gebäude und Konstruktionen: "Dabei wird die jeweilige Konstruktion komplett erfasst und anschließend mittels 3D-Modell nachgebildet. So hat man bei historischen Konstruktionen, zu denen es oftmals keine klaren Plandarstellungen mehr gibt, eine detailgetreue Darstellung und tut sich im Ernstfall - das beginnt übrigens auch schon bei der Brandbekämpfung - bei der Rekonstruktion deutliche leichter."