Brand in Lager Moria: Neue Debatte über Flüchtlingsverteilung
Der Großbrand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist nach Regierungsangaben seit dem frühen Mittwochmorgen unter Kontrolle. Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis berief für den Vormittag ein Krisentreffen in Athen ein. Daran sollen auch der Chef des griechischen Nachrichtendienstes und der Generalstabschef teilnehmen, da organisierte Brandstiftung vermutet wird.
Ein Regierungssprecher bestätigte Berichte, dass Migranten versucht hätten, die Feuerwehr an den Löscharbeiten zu hindern. Verletzte oder gar Tote gab es bei dem Feuer, das in der Nacht an mehreren Stellen ausgebrochen war und in der Früh durch starke Winde angefacht wurde, Stand Mittwochvormittag nicht.
Moria ist das größte Flüchtlingslager Griechenlands und Europas. Es ist seit Jahren heillos überfüllt, zuletzt leben dort nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums rund 12.600 Flüchtlinge und Migranten - bei einer Kapazität von 2.800 Plätzen.
"Vertretbare Zahl"
Die meisten von ihnen sind jetzt obdachlos - was eine neue Debatte über die Verteilung von Flüchtlingen auf andere EU-Länder auslöst.
Hilfsorganisationen wie Amnesty International forderten am Mittwoch als erste, dass alle Flüchtlinge von den Insel geholt und in menschenwürdige Unterkünfte gebracht werden sollten.
Auch Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, appellierte an die EU-Mitgliedstaaten und damit auch an Österreich, rasch zu helfen. „Auch wenn noch unklar ist, durch wen dieser folgenschwere Brand gelegt worden ist, fest steht: Europa hat diese Katastrophe seit vielen Monaten sehenden Auges in Kauf genommen", schrieb er in einer Aussendung. Österreich solle "Familien mit Kindern und alte und pflegebedürftige Menschen (...) in vertretbarer Zahl nach Österreich holen".
Heftige Diskussionen
Der deutsche Außenminister Heiko Maas forderte schnelle Unterstützung für Griechenland. „Dazu gehört auch die Verteilung von Geflüchteten unter Aufnahmewilligen in der EU“, schrieb der SPD-Minister am Mittwoch auf Twitter.
Die mögliche Verteilung von Migranten, die in Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien ankommen, auf andere EU-Staaten hat bereits in der Vergangenheit für heftige Diskussionen gesorgt. Zahlreiche Länder lehnen eine solche grundsätzlich ab, so auch Österreich.
Erste Zusagen
Als erstes Land erklärte sich heute denn auch das Nicht-EU-Mitglied Norwegen bereit, 50 Personen aus dem zerstörten Lager Moria aufzunehmen, vorzugsweise Familien mit Kindern. Auch der Berliner Senat versprach, 300 Menschen aufzunehmen. Nordrhein-Westfalen will 1.000 Personen aus Lesbos holen.
Auch EU-Innenkommissarin Ylva Johansson versprach erste Hilfe. Sie habe zugestimmt, den unverzüglichen Transfer und die Unterbringung der verbleibenden 400 unbegleiteten Kinder und Jugendlichen aufs griechische Festland zu finanzieren, twitterte sie. „Die Sicherheit und der Schutz aller Menschen in Moria hat Priorität.“
ÖVP bleibt bei "Nein"
„Es ist eine Schande, dass so lange weggeschaut wurde", sagte am Mittwoch der Spitzenkandidat der NEOS bei den Wiener Wahlen im Oktober, Christoph Wiederkehr. "Jetzt wo Moria brennt, ist es das Gebot der Stunde, dass wir 100 Flüchtlingskinder aufnehmen!“
Die ÖVP bleibt allerdings bei ihrer Linie und lehnt die Aufnahme von Migranten aus Griechenland strikt ab. Österreich will aber Griechenland vor Ort mit allen Mitteln unterstützen. Das erklärten Innenminister Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) vor dem Ministerrat am Mittwoch.
Nehammer sagte, dass sein Amtskollege in Griechenland berichtet habe, dass das Feuer gelegt worden sei und die Rettungskräfte behindert und angegriffen worden seien. Den dafür Verantwortlichen wolle man klar sagen: „Gewalt ist kein Mittel für den Eintritt in Europa. Gewaltbereite Migranten haben keine Chance auf Asyl in Europa.“ Diese Menschen „habe die Katastrophe bewusst ausgelöst und damit Menschenleben gefährdet“.
Unruhen
Bereits seit Tagen hatte es in Moria Unruhen unter den Migranten gegeben, weil das Lager seit voriger Woche nach einem ersten Corona-Fall unter Quarantäne gestellt worden war. Am Dienstag wurde dann bekannt, dass die Zahl der Infizierten bei 35 liege.
Manche Migranten hätten daraufhin das Lager verlassen wollen, um sich nicht mit dem Virus anzustecken, berichtete die halbstaatliche griechische Nachrichtenagentur ANA-MPA. Einige Infizierte und ihre Kontaktpersonen, die isoliert werden sollten, hätten sich hingegen geweigert, das Lager zu verlassen und in Isolation gebracht zu werden.
Ob die Brände von Migranten oder Inselbewohnern gelegt wurden, blieb vorerst unklar - die Angaben dazu gingen zunächst auseinander. Sondereinheiten der Bereitschaftspolizei waren im Einsatz. Videos in sozialen Netzwerken zeigten herumirrende, verängstigte Menschen und auch solche, die "Bye bye, Moria!" sangen.
Viele der Migranten und Flüchtlinge, die zuletzt im Lager lebten, flohen in die umliegenden Wälder und auf Hügel, andere machten sich auf den Weg zur Inselhauptstadt Mytilini, wie griechische Medien berichteten. Stellenweise sollen sich ihnen Inselbewohner entgegengestellt und ihnen den Weg versperrt haben.
Spannungen habe es in Moria immer gegeben, wegen der Corona-Problematik sei die Situation nun regelrecht explodiert, sagte Mytilinis Bürgermeister Stratos Kytelis dem griechischen Staatssender ERT. Man wisse nicht, wo die Menschen nun untergebracht werden sollten, Tausende seien obdachlos. Auch für die Einheimischen sei die Situation eine enorme Belastung.