Folgen der Klimakrise: 828 Millionen Menschen sind chronisch unterernährt
Die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels sind immer deutlicher bei Hilfsorganisationen zu spüren. Die Zahl jener Frauen, Männer und Kinder, die weltweit an akutem Hunger leiden, habe sich im 21. Jahrhundert noch nie so schnell beschleunigt wie 2022, erklärte der Direktor für Klima- und Katastrophenprävention des World Food Programm (WFP), Gernot Laganda, am Rande der Weltklimakonferenz.
„Wir sehen die Klimakrise durch die Linse des Hungers“, sagte der Österreicher Laganda der APA in Sharm el-Sheikh. „Der Hunger hat sich in den vergangenen Jahren stark verstärkt.“ Mit 828 Millionen chronisch hungrigen Menschen befände sich die Welt wieder auf dem Niveau von 2005.
„Wir haben 17 Jahre an Entwicklungsfortschritten verloren“, so Laganda. Die Zahl jener, die akute Nahrungsmittelhilfe brauchen, habe sich in zwei Jahren sogar mehr auf mehr als 349 Millionen Menschen verdoppelt. 49 Millionen Menschen in 49 Ländern seien an der Grenze zu jener Schwelle, an der sie an Hunger sterben.
Dafür seinen die sogenannten „3Ks“ veranwortlich: „Konflikte, Klimaereignisse und Kosten. Von diesen drei Faktoren wirkt das Klima wie ein Brandbeschleuniger für Konflikte und wirtschaftliche Schocks“, so Laganda.
Aktuell habe sich die Welt um rund 1,1 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erhöht und die Auswirkungen, wie ausgeprägte Dürreperioden oder sintflutartige Regenfälle, würden bereits große Schäden und humanitäres Leid anrichten. Sollten die Temperaturen aber noch weiter steigen, seien viele Dinge nicht mehr rückgängig zu machen. „Wir können nicht einfach, wie nach einem Krieg, eine Friedensvereinbarung unterschreiben. Die Korallenriffe sind dann weg, die Gletscher geschmolzen“, erklärt der Experte.
Aussagen, dass sich die Menschheit doch einfach an eine wärmere Welt anpassen könne, ärgern Laganda zudem. „Das geht nur für jene, die genug Geld, Zugang zu Informationen und Anschluss an unterstützende Strukturen haben, um diesen Extremen auszuweichen. Wenn du das aber nicht hast, und das ist bei sehr vielen Menschen der Fall, dann kannst du dich auch nicht anpassen.“
Überlappung von Krisen
Problematisch sei auch die Überlappung von Krisen: In 13 jenen 20 Ländern, in denen der Klimawandel bereits am meisten zu spüren sei, gebe es bereits gewaltsame Konflikte. „Da sitzen die Menschen, die an Hunger leiden eingeklemmt zwischen Klimaextremen und Konflikten und der Inflation“, so Laganda. Aktuell würde das WFP unter anderem die Lage im Horn von Afrika genau beobachten.
Der russische Angriffskrieg in der Ukraine und zuvor die Corona-Pandemie habe die Lage für viele Länder noch einmal grundlegend verschärft. Das internationale Hilfssystem sei aber nicht dafür gebaut und finanziert, diesen raschen Anstieg an humanitärem Bedarf abzufedern. Das WFP könne nur etwa die Hälfte der Bedürftigen auch mit Essen versorgen.
Österreich erhöhte erst kürzlich die vorgesehenen Mittel für das World Food Programme (WFP) von 1,6 Millionen Euro jährlich auf 20 Millionen Euro.
In Ländern wie Somalia, Äthiopien und Kenia seien bereits fünf Regenperioden in Folge ausgefallen. Die Dürre verschärfe die Nahrungsmittelunsicherheit nochmals. „Es kommt einfach nicht genug Regen an“, so Laganda. Weitere Brennpunkte seien in Afghanistan, im Jemen, dem Südsudan, der Sahel-Zone, aber auch in Zentralamerika.
„Die Klimakrise ist zu einer weltweiten humanitären Krise geworden“, so Laganda. Er appellierte an die Entscheidungsträger der Weltklimakonferenz COP27, keinen Unterschied zwischen ausschließlicher humanitärer Hilfe einerseits und reiner Klimafinanzierung andererseits zu machen.
Die 50 Millionen Euro, die das Umweltministerium in den kommenden vier Jahren für die Finanzierung zur Behebung, Vermeidung und Minimierung von Schäden („Loss and Damage“) durch die Klimakrise - insbesondere in den vulnerabelsten Ländern - zur Verfügung stellt, sei zu begrüßen. „Es ist nicht nur moralisch richtig, sondern auch strategisch und wirtschaftlich smart“, so Laganda. Er plädierte für Investitionen in Frühwarnsysteme und präventive Maßnahmen, um so humanitäres Leid zu lindern - und am Ende auch Geld zu sparen.