Pflegeskandal: "Wir sind völlig fassungslos"
Mittwochmittag in der kleinen Gemeinde Kirchstetten in Niederösterreich. Es herrscht ein Kommen und Gehen im Pflegeheim Clementinum, die Gesichter vieler Menschen sind ernst. Jeder weiß mittlerweile, dass es in dieser Anstalt zu grauenhaften Vorfällen gekommen sein soll."Es war ein Schock, als meine Frau und ich die Nachrichten im ORF sahen. Wir waren völlig fassungslos", sagt Gernot Timmermann.
Das Ehepaar ist gerade auf dem Weg, um den Bruder der Frau zu besuchen, der seit Jahren in dem Privatheim untergebracht ist. "Ich möchte betonen, dass wir mit der Betreuung sehr zufrieden sind und auch weiterhin den Mitarbeitern vertrauen werden. Schwarze Schafe kann es leider überall geben", meint Timmermann.
Kripo ermittelt
Als am vergangenen Freitag die Heimleitung von einem der knapp 90 Mitarbeiter über den Verdacht informiert wurde, reagierten dieses umgehend und offensiv. Die Beschuldigten, die laut Heim-Sprecher Christian Zwittnig teilweise noch am vergangenen Wochenende zum Dienst angetreten wären, wurden fristlos entlassen und eine Sachverhaltsdarstellung an die Polizei geschickt.
Bei den Verdächtigen soll es sich um Personen handeln, die über unterschiedliche Ausbildungsniveaus verfügen. "Hier hat sich sozusagen eine Gruppe gefunden", sagt Zwittnig.
Kontrolle
Patientenanwalt Gerald Bachinger zeigt sich schockiert: "Ich habe so etwas in den vergangenen 15 Jahren noch nicht erlebt. Wir haben ein sehr engmaschiges Kontrollnetz. Jetzt müssen wir versuchen, aus möglichen Fehlern für die Zukunft zu lernen." Deshalb sei es jetzt auch wichtig, eine Ursachenanalyse durchzuführen.Bestürzung herrscht auch beim Land, das in unregelmäßigen Abständen Kontrollen in den 98 nö. Heimen durchführt. "Es hat den Anschein, als würde hinter der Tat kriminelle Energie stecken", sagt Severin Nagelhofer von der Abteilung Landeskrankenanstalten und Landesheime. Auch ihm sei ein derartiger Fall noch nicht untergekommen.
Die Volksanwaltschaft ist eine von mehreren Institutionen, die für die Überprüfung der Alten- und Pflegeheime in Österreich zuständig ist. Von den mehr als 1200 Anstalten wurden heuer rund 100 überprüft.
„Ein Verbrechen wie dieses lässt sich aber leider auch durch Kontrollen nicht verhindern“, betont Volksanwalt Günther Kräuter (SPÖ) im Gespräch mit dem KURIER. Ansetzen müssen man am Ursprung solcher Taten, meint der Experte. „Ich denke, dass es etwa in der Ausbildung noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Man sollte zum Beispiel noch stärker auf das Thema Gewaltprävention eingehen.“
Burn-out-Rate
Der Pflegeberuf selbst gehöre zu einem der herausforderndsten Jobs überhaupt, sagt Kräuter: „Wir bemerken eine sehr hohe Burn-out-Rate in diesem Bereich. In manchen Institutionen herrscht leider auch Personalknappheit. Mit diesem Mangel werden wir auch immer wieder konfrontiert“, berichtet der Volksanwalt. Er fügt aber hinzu, dass das in die Schlagzeilen geratene Pflegeheim in Kirchstetten über ausreichend Personal verfügen würde.
Der Experte wünscht sich zudem, dass die Pfleger mehr Möglichkeiten bekommen, um die Erlebnisse und Herausforderungen in ihrem Beruf verarbeiten zu können. „Wir brauchen mehr Supervision“, sagt er. Bei dieser Form der Beratung von Mitarbeitern (vor allem in psychosozialen Berufen) ist ein zentrales Element die Reflexion.
Einmal mehr lässt Günther Kräuter zudem die Forderung laut werden, dass der Volksanwaltschaft die Möglichkeit gegeben werden soll, dem Niederösterreichischen Landtag „direkt zu berichten“. „In anderen Bundesländern – wie etwa in Wien – ist dies möglich. In Niederösterreich hingegen leider noch nicht.“