"Kinder und Erzieherinnen hatten Depressionen"
Der Wilhelminenberg war eine Katastrophe. Ich habe mich aufgelehnt und revoltiert.“ Diese Worte stammen nicht von einem ehemaligen Heimkind aus dem Schloss Wilhelminenberg, sondern von einer ehemaligen Erzieherin des Heimes.
Doris H. (Name von der Redaktion geändert) war in den Jahren 1969/70 als eine der ersten fundiert ausgebildeten, jungen Erzieherinnen am Wilhelminenberg tätig. Nach einem zweijährigen Kolleg war sie dort „als Beiwagerl“ einer älteren Kollegin zugeteilt worden. „Ich hatte eine Ausbildung in Psychologie und Pädagogik“. Bei den älteren Erzieherinnen sei dies nicht gut angekommen.
Doris H. ist heute noch „entsetzt über das Kasernentum“, das am Wilhelminenberg geherrscht habe. Schon die Duschen im Keller („da haben auch wir uns gewaschen“) seien „furchtbar und grauslich“ gewesen. „Ich sag Ihnen“, meint sie, „am Wilhelminenberg haben nicht nur die Kinder Depressionen gehabt, sondern auch die anständigen Erzieherinnen.“
Eingesperrt
Die Mädchen im Heim seien rund um die Uhr eingesperrt gewesen. Etwas Zuneigung und Liebe? Fehlanzeige. „Man darf sich nicht wundern, wenn dann welche von denen aggressiv werden – 20 Kinder im Tagraum, 20 im Schlafraum, kein Ausgang.“
Hildegard Müller,bis zur Schließung des Heimes im Jahr 1977 Heimleiterin, habe ein eisernes Regime geführt. „Vor der haben sich sogar die Erzieherinnen gefürchtet. Der Wilhelminenberg war auch für die gut meinenden Erzieherinnen ein Stress.“ Und ihr Zusatz: „Heimleiterin wurdest du nur mit dem richtigen Parteibuch.“
Kinder seien oft wegen Kleinigkeiten bestraft worden. Durch erniedrigende Einzel- oder Gruppenstrafen. Militärischer Drill habe vorgeherrscht. Bei Mädchen im Alter ab sechs Jahren.
Kritik
Gemeinsam „mit ein, zwei Kolleginnen“, habe sie versucht, zeitgemäße Erziehung in die Routinearbeit einzubringen. Vergeblich, wie sie sich heute erinnert. 1970 wandte sie sich an den ORF. Sie gab ein Interview und äußerte sich kritisch über die Zustände im Heim.
Nach der Ausstrahlung der Sendung sei sie unter Druck gesetzt worden. „Wie das mit dem ORF war, wurde ich von der MA11 (Wiener Jugendamt, Anm.) ins Rathaus geladen und wurde ermahnt, die Goschen zu halten.“ Im Heim hätten Kolleginnen sie „dauernd bedrängt, ob ich nicht in die Verwaltung wechseln will“. Schließlich sei sie zu „einem psychologischen Test“ geschickt worden. „Nicht die Müller hat man zum Psychiater geschickt, oder die, die die Kinder gequält haben, sondern mich.“ Dann ist sie in ein anderes Mädchenheim versetzt worden. Kurz darauf habe sie ihre Karriere bei der MA11 beendet.
Vergewaltigungen junger Mädchen seien ihr „nicht aufgefallen“. „Aber was sich in den anderen Gruppen abgespielt hat, haben wir ja nicht mitgekriegt.“ Ein einziges Mal, habe sie junge Mädchen mit Burschen in einem Aufenthaltsraum ertappt.
Vorwürfe macht sie sich immer noch. „Mir dreht sich heute noch der Magen um, wenn man hört, wie es vielen Mädchen und Buben in den Heimen ergangen ist. Warum habe ich mich damals nicht mehr gegen das System gewehrt?“ kurier.at/heimskandalHintergründe und Kommentare zum Thema Heimskandal finden Sie online.
Schreckliche Vorwürfe haben ehemalige Zöglinge des Kinderheimes im Wiener Schloss Wilhelminenberg erhoben: Folter-ähnliche Erziehungsmethoden, psychische Gewalt und sexueller Missbrauch. Eine Zeitzeugin meinte im KURIER: „Im Nachhinein kommt es mir so vor, dass jemand für uns bezahlt wurde.“
Die Stadt Wien beauftragte die Richterin Barbara Helige vor eineinhalb Jahren mit der Bildung einer Kommission, um die Vorwürfe zu untersuchen. Neben Helige gehören dieser die Psychiaterin Gabriele Wörgötter, die ehemalige Senatspräsidentin des OGH, Helge Schmucker, und der Linzer Sozialforscher Michael John an.
Am Mittwoch um 9 Uhr präsentiert die Kommission den Endbericht ihrer Forschungsarbeit. Das 1977 geschlossene Kinderheim Wilhelminenberg ist die einzige derartige Institution in Wien, die eingehend durchleuchtet wurde.
Mehr Infos: www.kommission-wilhelminenberg.at