Chronik/Österreich

Wie die Justiz an kriminellen Jugendlichen scheitert

Drei der fünf Mitglieder jener Jugend-Gang, die einer 15-Jährigen den Kiefer gebrochen und das Prügel-Video ins Netz gestellt hatten, wurden am Mittwoch nicht rechtskräftig zu teilbedingten Haftstrafen verurteilt. Zusätzlich bekamen sie vom Gericht die Weisung, sich einem Anti-Gewalt-Training zu unterziehen.

Man darf sich davon allerdings keine sofortige Aufarbeitung des hohen Aggressionspotenzials erwarten. Die 16-jährige Rädelsführerin Leonie, der demnächst 17-jährige Abuu und der 21-jährige Amir, der mit einem Faustschlag den Kieferbruch bei der 15-jährigen Patricia verursacht hatte, müssen ein bis zwei Monate auf einen Platz bei der Anti-Gewalt-Therapie warten. Man kann nicht laufend in einen Kurs einsteigen.

Kommentar: "Ohne Geld wird das nichts"

Das bedeutet allerdings, dass Leonie (wie auch ihre Komplizen) die kommenden Monate in der überfüllten Justizanstalt Josefstadt sitzt, wo sie sich bereits seit Mitte Jänner in U-Haft befindet. Ohne Therapie, ohne Beschäftigung, "am wenigsten geeignetsten Ort für eine 16–jährige", wie Andreas Zembaty vom Bewährungshilfe-Verein Neustart sagt: "Es sind sich alle darüber einig, dass der Freiheitsentzug allein nichts hilft, nichts verändert. Die innere Wut in den Jugendlichen, ihr Gefühl: ’Ich muss mich wehren’, steigt noch."

Nachsatz: "Aber wir haben derzeit nichts Besseres."

Was ist mit den viel beschworenen betreuten Wohneinrichtungen als Alternative zur (U-)Haft für Jugendliche?

Tagesstruktur

Die Richter verweisen Jugendliche dort nicht gern hin, weil es keine Bewachung gibt. Die Plätze bleiben, von wenigen Einzelfällen abgesehen, ungenützt. Zembaty: "Wir brauchen stationäre Einrichtungen mit intensiver Betreuung. Keine Mini-Jugendgefängnisse. Aber eine kontrollierte Unterbringung, wo die Jugendlichen nicht durch den Schlüssel am Davonlaufen gehindert werden, sondern durch pädagogische Modelle mit gemeinsam erarbeiteten Tagesstrukturen."

Das kostet freilich mehr Geld. Und das ist der Grund, weshalb bei der Ausschreibung für das Justiz-Projekt nicht die SOS-Kinderdörfer mit ihrem betreuungsintensiven Konzept, sondern andere, billigere, Einrichtungen zu Zug gekommen sind.

Bei Leonie wird die Zeit in Haft trotz aller Widrigkeiten vom ersten Tag nach dem Urteil an genutzt. Ihre Bewährungshelferin – die Leonie zur Betreuung auch während der Haft jederzeit im Gefängnis besuchen darf – hat gemeinsam mit der Jugendwohlfahrt schon einen Platz in einer betreuten Wohneinrichtung mit Gruppen in Wien und Niederösterreich gefunden, den sie ab Ende März beziehen könnte. Unter Anrechnung der U-Haft könnte Leonie zu diesem Zeitpunkt nämlich bereits bedingt entlassen werden.

Die frühere Unterbringung in einem Krisenzentrum in Amstetten, NÖ, war suboptimal. Leonie fühlte sich abgeschoben und soll Mitbewohner bedroht haben, weshalb sie in U-Haft landete.

Die angeblich Bedrohten erklärten beim Prozess jedoch, sie hätten sich nicht gefürchtet, und das Heim habe darauf bestanden, dass sie Anzeige erstatten. Von diesem Vorwurf wurde Leonie freigesprochen. Dass man damals keine Unterbringung in Wien gewählt hatte, lag neben dem Bestreben, Leonie von ihrer Clique fernzuhalten, am Geld. Wien und NÖ rauften um die Kosten. Leonies Mutter lebt in Niederösterreich, daher wollte Wien nicht zahlen.

Brüskiert

Der ungewöhnlich große Aufwand um die trotzige Leonie hängt wohl vor allem damit zusammen, dass der Fall für so großes Aufsehen gesorgt hat. Standard ist das nicht. "Aber auch wenn die 16-Jährige uns mit ihrem Verhalten alle brüskiert, müssen wir uns gerade um ihre Integration bemühen. Auch zur Vermeidung möglicher künftiger Opfer", sagt Zembaty.