Vollbeschäftigung hinter Gittern
Von Nihad Amara
Thomas Stauders Lehrlinge sind schwere Jungs. Räuber, Mörder, Sexualstraftäter. Der Schuhmacher, 32, der seit einigen Tagen in der Justizanstalt Stein werkt, hat mit einem dieser Schützlinge bereits ein Paar Schuhe zusammengeschustert. Die in rot und schwarz gehaltenen Lederschuhe amüsieren Justizminister Wolfgang Brandstetter: "Bitte ein Foto von den Koalitionsschuhen", sagt er. Sonst blieb keine Zeit für Scherze. Der Minister besuchte den Häfen, um sich vor Ort ein Pilotprojekt im lange Zeit vernachlässigten Strafvollzug anzusehen.
In vier Anstalten stellte man Fachkräfte an – vom Konditor bis zum Schlosser. Stauder ist einer davon. "Das Ziel ist eine Vollbeschäftigung der Insassen", erklärt Brandstetter. Bis die hundert neuen Planstellen, deren Ausschreibung gerade läuft, besetzt sind, sollen sie die Justizwache entlasten.
Beschäftigung
Aber was kann ein Schuhmacher leisten? Die Antwort steckt in einer alten Häfen-Weisheit: Wenn die Insassen nicht beschäftigt sind, dann beschäftigen sie die Justizwache. Denn dem Personalmangel fielen zu allererst die Werkstätten zum Opfer. In Stein waren zeitweise 20 der insgesamt 27 Betriebe geschlossen. Die Insassen vegetierten 23 Stunden in ihren Zellen dahin, Aggressionen stauten sich auf.
Stauder lastet die Insassen nicht nur aus, sondern spielt zukünftig einen von zwei Wachebeamten in den Werkstätten für andere Arbeiten frei. "Nein, Angst hatte ich keine. Es ist nicht so schlimm, wie man sich das vorstellt", sagt Stauder, der im Vorfeld in einer Schulung auf sein Arbeitsumfeld hinter Gittern vorbereitet wurde.
Weitere Fachkräfte – in Stein sind es sechs – sollen noch folgen. Derzeit sind in Stein alle Werkstätten in Betrieb, 635 der 770 Insassen arbeiten, der Rest liegt in der Spitalsabteilung. "Das stellt sicher, dass der Zweck des Strafvollzugs besser erreicht wird. Es geht um die bestmögliche Betreuung und Beschäftigung der Häftlinge", sagt Brandstetter.
Der Minister wählte Stein nicht zufällig für seine Visite aus. In keiner anderen Haftanstalt wurden die Probleme des Strafvollzugs so offensichtlich – und so breit in den Medien diskutiert. Es waren die Fotos des vernachlässigten Wilhelm S., 74, mit seinen eingerollten Zehennägeln und seinen eingewachsenen Bandagen, die zum Sinnbild für das Versagen des Vollzugs wurden. Und in kaum einer anderen Anstalt ist die Stimmung unter den Bediensteten so im Keller.
Brandstetter werkt seitdem auf mehreren Baustellen. Und als Motivator für die Truppe, die ob des Personalmangels mit Kampfmaßnahmen gedroht hatte.
"Es wird besser"
Stopp vor einem Klassenzimmer. Die Beamten absolvieren einen Chargen-Kurs, werden später führende Positionen bekleiden: "Ich weiß, es ist in der Vergangenheit zu wenig für den Strafvollzug getan worden. Aber es wird besser", verspricht der Minister. Von einer guten Stimmung will Anstaltsleiter Bruno Sladik nicht sprechen: "Formulieren wir es so: Es hat sich gebessert."
Der Minister will aber vor allem, dass es anders wird. Nämlich ganz anders. Den Strafvollzug will er neu ordnen. "Es braucht eine kräftige Änderung in den Strukturen, eine Ausdifferenzierung der Haftanstalten." Ähnlich wie im Spitalswesen sollen die Gefängnisse Schwerpunkte bilden.
Der Maßnahmenvollzug gehört zu den größten Baustellen. Allein von 2001 bis 2010 stieg die Anzahl der Betroffenen von 572 auf 922. Um sich kurzfristig Luft zu verschaffen, verlegte das Justizministerium einige Häftlinge. Etwa von Stein in die Anlage nach Asten, die dafür besser ausgestattet ist.
Im Hintergrund zerbrechen sich Experten darüber den Kopf. "Wir hinterfragen alles von Grund auf", sagt Brandstetter. Auch den Umstand, weshalb ein psychisch Schwerkranker, dem seine Tat aufgrund seiner Krankheit nicht zuzurechnen ist, in einem Gefängnis sitzt, und andere psychisch Kranke in psychiatrische Einrichtungen kommen. Eine "Umschichtung ins Gesundheitsressort" sei denkbar.
Stauder arbeitet demnächst mit neuen Häftlingen. Die Schuhe in den Koalitionsfarben hätte er dem Minister gerne mitgegeben. Doch der "ist zufrieden mit meinen Waldviertler-Schuhen".
"Ich überlebe das nicht mehr lange", klagt Hans Horvath. Der wegen Betrugs verurteilte Burgenländer sitzt seit 2013 in der Justizanstalt Stein. Weil es dort eine geschlossene Krankenanstalt gibt.
"Mir geht es von Monat zu Monat schlechter, die Behandlung hilft nicht, Gutachten werden verzögert", klagt der Mann, der eine Haftunterbrechung beantragt hat. Er will in Freiheit auf Rehabilitation gehen, die seine private Versicherung zahlen würde, um danach den Rest der Strafe abzusitzen.
Doch die Justiz lässt sich Zeit. Zwei Mal ist 2014 ein Gutachter aus Wien angereist, um den Gefangenen in Stein zu untersuchen. Jedes Mal hatten die Beamten ihm vorher genau zu diesem Zeitpunkt Ausgang gegeben. Was das Landesgericht bestätigt.
Ein Detail am Rande: Horvath hatte im September bei einem der Ausgänge im Burgenland einen Herzinfarkt. Der Notarztwagen brachte ihn nach Graz ins Spital, weil Lebensgefahr bestand. Die Justiz wirft Horvath das vor. In so einem Fall müsste er in die nächste Justizanstalt einrücken, heißt es. Was das Rote Kreuz nicht nachvollziehen kann. Eine Rechnung schickte es trotzdem, weil der Gefangene ja nicht versichert ist. An die Justizanstalt Stein. Bezahlt hat die bisher noch nicht.