Chronik/Österreich

Sozialdienst löst die Haftstrafe ab

Daniel M. hatte die Wahl: 35 Tage im Gefängnis oder 140 Stunden gemeinnützige Arbeit in einer Einrichtung für schwer Behinderte. Der 21-jährige Dachdecker, der an einer Schlägerei beteiligt war, entschied sich für den Sozialdienst – und war davon so begeistert, dass er beruflich umsatteln wollte.

„Ich hab’ den Beruf Dachdecker gelernt. Er macht Spaß, aber als Behindertenbetreuer tät’s mir mehr taugen.“ Das AMS weigert sich jedoch, die Ausbildungskosten zur Umschulung zu übernehmen, und Daniel kann die 7000 Euro nicht aus eigener Kraft aufbringen.

Zigarettenschmuggler

Die tolle Erfahrung kann ihm aber niemand mehr wegnehmen, der junge Steirer teilt sie mit immer mehr Rechtsbrechern, die man früher einfach nur weggesperrt hat. „Strafe muss Sinn machen“, sagt Andreas Zembaty vom Verein Neustart, der die gemeinnützige Arbeit vermittelt und die Klienten dabei begleitet. Seit 1. August können auch Finanz- und Zollfreiheitsstrafen bis zu drei Monaten oder der Ersatz­arrest bei uneinbringlichen Geldstrafen mit einem Dienst an der Gemeinschaft abgeleistet werden. Das sind Zigarettenschmuggler oder Kaufleute, die ihre Steuererklärung „auffrisiert“ haben. 500 solcher Fälle hat Neustart schon positiv abgewickelt.

Gemeinnützige Leistungen statt Gefängnis ist ein Erfolgsmodell, nur die Verwaltungsstrafen (von Schnellfahren bis zur Missachtung der Sperrstunde) müssen nach wie vor gezahlt oder abgesessen werden. Erst kürzlich hat der Unabhängige Verwaltungssenat den Antrag eines Mannes, seine Ersatzfreiheitsstrafe durch die Erbringung gemeinnütziger Leistungen zu ersetzen, endgültig abgewiesen. Diese Alternative sei im Gesetz nicht vorgesehen, beschied man ihm. Neustart fordert auch in diesem Bereich einen Umstieg, weil der Strafvollzug eine sozial schädliche Wirkung hat und überdies hohe Kosten verursacht. Ein Tag hinter Gittern kostet pro Kopf 100 Euro, jeder Tag Hilfe ist für die meisten der 1500 regelmäßig frequentierten gemeinnützigen Einrichtungen ein Gewinn.

Die Lebenshilfe Feldbach war von Daniel begeistert und ließ ihn nach den 140 Stunden ungern gehen. Der 21-Jährige hätte die 1500 Euro Gerichtskosten für seine Verhandlung nach der Schlägerei („Ich bin dazwischen und hab’ jemanden umgeschupft, er hat am Kopf geblutet“) nicht zahlen können und absitzen müssen. Bei der Lebenshilfe lernte er, „wie liebevoll und dankbar die Behinderten sind, wie sich die freuen können.“ Er bekochte sie, ging mit ihnen spazieren und erntete von den professionellen Betreuern Anerkennung: „Mit Zivildienern können s’ nicht so viel anfangen, haben s’ zu mir gesagt.“

Keine Sklaven

Sozialdienst leisten kann man in Seniorenheimen, bei Gemeinden (Müllentsorgung), beim Alpenverein (Holzbrücken bauen), bei Feuerwehren oder der Rettung (Reinigungsarbeiten). „Niedere Tätigkeiten, aber keine Sklavenarbeit“, sagt Zembaty. Trotzdem brechen manche Klienten ihren Einsatz ab, wenn sie zu Geld kommen und die Strafe abzahlen können. Alles besser als jeder Neuzugang für die überfüllten Gefängnisse.

Schon über 7000 Fälle im Jahr

Diversion: Nach Diebstahl, Sachbeschädigung und leichter Körperverletzung wurde 2012 in 3034 Fällen Sozialdienst als Alternative zu einer Strafe geleistet. Über 80 Prozent wurden positiv erledigt und die Verfahren eingestellt.

Ersatzarrest: Wer zu einer Geldstrafe verurteilt wird und diese nicht zahlen kann, darf die Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Leistungen abdienen. 2012 übernahm Neustart bereits 4010 Fälle, 2008 wurde mit 3079 begonnen.